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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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suchten in den Steinrillen nach Körnern, ein prächtiger Hahn war von irgendwo hergekommen, ging langsamen Schrittes und erhobenen Hauptes, voller Stolz, über den Platz. Ich habe keine Ahnung, wie er dorthin gekommen war und ob er sich aus einem Käfig befreit hatte. Später erzählte ich diese Geschichte meinen Freunden, dachte selbst, wenn ich hier alleine war, gerne daran zurück, wie der Hahn über den Marktplatz gelaufen und wie er um die Statue herumgeschlichen war, wie er sich rar gemacht hatte, als ich den Versuch unternahm, ihm näher zu kommen.
    Als ich an jenem Tag unter der Statue saß und nach oben schaute, um sie mir genau anzusehen, hörte ich in der Ferne plötzlich Frauenschreie, ein paar kurze stockende Ausrufe, als werde jemand verfolgt, und dann erschien in einer für mich nur mit dem Wort dramatisch zu benennenden Überraschung jene Braut auf dem Marktplatz, der ich im Sponza-Palast begegnet war. Einen Augenblick lang sah sie verwirrt aus, blieb stehen, als wisse sie nicht, wohin sie nun gehen sollte. Jetzt fand ich sie draußen in der Helligkeit des Lichtes noch viel schöner als zuvor. Und als sie mit ihren Händen ihr Kleid hochzog, damit es nicht den Boden berührte und dreckig wurde, sah sie zu mir herüber, verschreckt und nahezu flehentlich, als sei ich ihr Retter. Ich war zu Tränen gerührt, Mitleid hatte mich ergriffen, und ich breitete die Arme aus, um sie so zu begrüßen, aber sie verschwand ganz plötzlich wieder in der Lučarica-Straße. Ihre Verfolger konnte ich nicht sehen, ich wusste auch nicht, vor wem sie geflohen war, ich sprang auf einen Stein, es war bestimmt ein Grenzstein, der den Marktplatz von der Straße trennte, um die Szene ganz im Blick behalten zu können, und wartete auf ihre Verfolger, dann wollte ich sie, sobald ich sie erblickt hätte, in die Irre führen und in die falsche Richtung schicken.
    Ich war beunruhigt, fühlte, wie die Aufregung sich in mir ausbreitete, und fragte mich, wie es nur möglich war, dass so viel an einem Tag geschah, und was wohl noch alles bis zur Abfahrt des Zuges auf mich wartete. War so etwas in dieser Stadt der ganz normale Alltag? Die Braut war auf und davon, ihre Schritte konnte niemand mehr hören, denn sie hatte an den Füßen nur leichtes Schuhwerk, flach und weich, wie bei einer Tänzerin. Ihre Bewegungen hatten allesamt etwas Harmonisches an sich, vielleicht war sie aber einfach von Natur aus grazil, denn das Ganze wirkte auf mich wie eine Art Spiel, als sei sie so etwas wie eine Ballerina, die sich mitten im Tanz von der Bühne geschlichen hatte und nun auf der Flucht war, auf der Suche nach einem Beschützer. Aber wenn sie nur eine Vorstellung gegeben hat, dann musste diese alles andere als lustiger Natur gewesen sein, denn im Gesicht der Braut hatte ich Angst gesehen. »Und wenn die Angst dich jagt, dann hast du nach ihren Regeln zu tanzen«, so hat es einmal mein bevorzugter dalmatinischer Dichter gesagt; ein Romantiker natürlich.
    Die Verfolger der Braut blieben aus; ich rannte in die Lučarica-Straße, wahrscheinlich, weil ich irgendeinem Instinkt folgte. Wenn sie vor der eigenen Hochzeit weggerannt war und den Trottel an ihrer Seite verlassen hatte, stand ich natürlich innerlich zu ihr, denn der Typ hatte mir schon im Sponza-Palast nicht gefallen. Ich hatte ihm sogar ein paar unliebsame Blicke zugeworfen, vor allem in jenem Moment, als er angefangen hatte, an ihrem Haar und ihrem Hals herumzuschnüffeln. Ich rannte bis zum Ende der Straße und entdeckte dieses schöne Geschöpf, ganz außer Atem, als sie gerade dabei war, in die kleine Querstraße einzubiegen, und sie wirkte auf mich wie ein weißer Blumenstrauß. Ich sah ihr weißes Kleid noch ein letztes Mal aufblitzen und dann fiel der Vorhang, der das Ende der Vorstellung markierte, finis bala ; ich sah sie nicht mehr, sie verschwand im Labyrinth der Straßen und Gassen. Und jenes Labyrinth machte auch mir zu schaffen, ich fühlte einen Schwindel in meinem Kopf.
    Ich schaffte es gerade noch, mich zu einer Wand zu schleppen, sah eine kleine Öffnung mit einer Luke, die mich vollkommen irritierte, mir ging durch den Kopf, dass ich zufällig Buža entdeckt haben musste, eine Öffnung in der Stadt-Felswand, über die ich etwas gelesen hatte. Zu Hause hatte ich einen abgewetzten Baedeker, ich las pausenlos in ihm, lernte das Büchlein geradezu auswendig, die Namen aller Straßen, Plätze, Palazzi, Festungen, Kirchen und Klöster, ohne dass ich sie je gesehen hätte.

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