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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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setzte, sah das Paar ständig zu mir herüber, so als hätten sie gedacht, dass ich mich hierher verirrt hatte oder als sei ich ein Dieb, der gleich etwas stehlen und dann davonrennen würde. Auch die Kellner betrachteten mich misstrauisch, sie standen in der Nähe der Tür, die zur Küche führte, sie unterhielten sich, rührten sich aber nicht von der Stelle, auch dann nicht, als ich mich zu ihnen drehte. Ich war aber geduldig, bis zur Abfahrt meines Zuges hatte ich noch genug Zeit, ich machte es mir gemütlich und sah durch die Fenster auf das Meer hinaus, betrachtete die Barken, die im Hafen festgebunden waren und sich leicht hin und her wiegten; obwohl das Meer kein bisschen unruhig war, stieß ab und zu eine Welle gegen die Mole und gegen die Eisenpfeiler, an denen die Schiffe festgebunden waren. Das Wasser schoss in die Höhe und der Steinboden des Hafens wurde immer wieder nass.
    Was musste ich jetzt tun? Ich hatte keine Lust, aufzustehen und das Restaurant wieder zu verlassen, ich hatte mich ja gerade erst durchgerungen, hier Platz zu nehmen und zu essen. Und während ich wartete, dass die Kellner sich meiner annahmen, holte ich aus meiner Tasche die Glaskugel und das Wappen und legte beides auf den Tisch. Als ich das Gefühl hatte, dass die Kellner und das Paar mich wieder beobachteten, hielt ich die Glaskugel in Augenhöhe und inspizierte sie durchdringend, als sei ich dabei, sie zu befragen oder in ihr etwas zu lesen, eine geheime Botschaft zum Beispiel, die sich aus der Lichtbrechung ergab. Hätte mein schönes Wappen einen Anhänger gehabt, hätte ich es sicher an meiner Brust befestigt, damit sie sich noch mehr wunderten und über meine Anschaffungen staunten und sich über meine Kühnheit, sie auf den Tisch zu legen, von mir aus auch erbosten.
    Und erst als ich die Stoffservierte auseinanderfaltete und die Ordnung auf dem gedeckten Tisch durcheinanderbrachte, trat ein Kellner an meinen Tisch, ohne dass ich ihn rufen oder in seine Richtung schauen musste. Vielleicht hat genau in jenem Augenblick mein kompliziertes Verhältnis zu Kellnern begonnen, man musste immer eine Taktik zur Hand haben und durfte nicht zu freundlich, aber auch nicht gerade unfreundlich zu ihnen sein. Jetzt stand der Kellner da und überragte mich um einiges, er war dick, von grober Gestalt, mit einem riesigen Bauch, über dem sich das zugeknöpfte Hemd gerade noch halten konnte, und zwischen den Knopfabständen drängte sein Fett hervor. Er fragte mich nichts, stand einfach nur sehr lange dort, und ich schwieg noch eine Weile, vertiefte mich in die Speisekarte und wählte schließlich und endlich mein Essen. Eigentlich wechselten wir kaum ein Wort miteinander, aber meine Bestellung war offenbar gelungen. Der Kellner erledigte all das, ohne mir irgendwelche Vorwürfe zu machen, aber dass er freundlich gewesen wäre, kann ich auch nicht behaupten.
    Das Tauziehen um den Kellner war damit vorbei, der Rest verlief ohne Komplikationen. Das ältere Paar sah immer wieder neugierig zu mir herüber, aber das beschäftigte mich nicht weiter, es irritierte mich nicht im Geringsten, ich aß einfach alles in Ruhe auf, das Besteck fiel mir zum Glück nicht ein einziges Mal aus der Hand, ich bückte mich auch nicht, um irgendetwas vom Boden aufzuheben. Im Gegenteil – ich aß ganz ruhig vor mich hin und nicht etwa wie einer, der im Grunde total ausgehungert war, und während ich aß, betrachtete ich immer wieder meine Glaskugel. Ich weiß nicht, ob es um mich ging, aber irgendwann erschien an der Tür eine weiß gekleidete Köchin und betrachtete mich; sie war fröhlich und lachte, und ich bemerkte, dass zwischen ihr und dem Musiker ein geheimer Austausch stattfand und sie sich Zeichen gaben. Als die Köchin in der Tür erschienen war, hatte er mit einer schnelleren und lauteren Musik eingesetzt. Man hörte sie sogar draußen am Meer, die Fischer sahen von ihren kleinen Booten zu uns herüber. Nach dem Essen blieb ich noch ein bisschen am Tisch sitzen und hörte der Musik zu, bis der Pianist aufhörte zu spielen. Der Kellner kam einige Male zu meinem Tisch, räumte etwas weg oder brachte einen Teil des Bestecks fort, dann beugte er sich mit einem Mal zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Bilde dir nicht ein, dass du hier abhauen kannst, ohne zu bezahlen, ich werde dich wie einen Hasen fangen und dir die Haut vom Fleisch ziehen. Unten an der Mole hätte ich dich spätestens gefangen! Und dort würde ich dich in eine Ecke drängen, dich an einen

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