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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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Baum binden, dir die Unterhose runterziehen und dir den Arsch versohlen, bis das Blut zu fließen anfängt. Und weil es mir sehr gut gefällt, eine Zigarette zu rauchen, wenn ich die Diebe in ihre Schranken gewiesen habe, würde ich mir danach den Genuss erlauben, am Ende der ganzen netten Zeremonie meine Zigarette auf deiner Haut auszudrücken.«
    Der Kellner flüsterte mir das alles ins Ohr, sein Atem schlang sich um meinen Hals, er hatte Mundgeruch, und sein stechend schwerer Schweiß war mehr als deutlich zu riechen, aber er machte mir keine Angst, denn ich hatte gar nicht vor, mich davonzumachen. Ganz im Gegenteil, ich wollte mein Geld ausgeben, deshalb legte ich gleichsam nebenbei meine Scheine auf den Tisch, man konnte sofort erkennen, dass ich genug dabeihatte und in der Lage war für das zu bezahlen, was ich gegessen hatte. Die Episode endete nicht mit einer weiteren Drohung des Kellners, sondern geradezu mit seiner Fröhlichkeit. Als er mir das Restgeld zurückgab, war er kein bisschen schroff oder unangenehm, er brachte mir ein Gläschen Rum und sagte, der Musiker gebe mir einen aus. Und tatsächlich, der Musiker sah zu mir herüber, mit einem großen Lächeln im Gesicht hob er sein Glas und ich tat es ihm nach. Wir stießen durch die Luft miteinander an. Der Kellner schaute mich gleichsam gütig an, und ohne irgendeine Unsicherheit zu zeigen, leerte ich das Gläschen Rum in einem Zug. Er war offenbar zufrieden, dass ich das Glas so schnell geleert hatte, aber er konnte nicht wissen, dass ich lediglich meinen Vater imitierte, den ich unzählige Male dabei beobachtet hatte, wenn er sein Getränk in einem Schluck runterkippte, es geschah in einer einzigen Bewegung und war ehrfurchtgebietend.
    Die Geste des Musikers führte zu überschwänglich guter Laune, dieser Mann war großzügig zu mir und das rührte mich sehr, sogar der Kellner war mir auf einmal sympathisch, und ich fing an, mich selbst zu loben und ihm überschwänglich zu erzählen, dass ich der Sohn eines reichen Händlers aus Trebinje bin. Das Selbstlob nahm er freundlich auf, einen Moment zuvor aber hätte er mich deshalb bestimmt verspottet. Eine einzige Sache kann alles ändern, manchmal denke ich heute, dass der Pianist mit seinem musikalischen Wesen den zukünftigen Künstler in mir gewittert haben musste – wenn ich denn je ein Künstler geworden bin. Damals bin ich fröhlich auf die Terrasse des Restaurants hinausgerannt und habe mich kurzerhand in einen Rattansessel geworfen. Als ich mich in die Kissen nach hinten lehnte, spürte ich, wie schön diese städtische Behaglichkeit ist, der sich die Leute zu einer bestimmten Tageszeit hingeben, wenn sie miteinander reden und zusammensitzen und vor ihnen die Boote schaukeln, auf denen die Möwen landen, die mit ihrem Kreischen alles lebendig machen und dadurch selbst an einem ganz gewöhnlichen Tag alles stimmig und sinnvoll erscheinen lassen. So habe ich es damals erlebt, und ich scheue mich nicht, jetzt darüber zu erzählen, trotz meiner ambivalenten Haltung der Vergangenheit gegenüber, denn mir kommt es so vor, dass das, woran wir uns erinnern, genauso glaubwürdig ist wie das, was wir unsere Wirklichkeit nennen. Deshalb ist es nicht weiter tragisch, dass ich jenes Restaurant später nicht mehr gefunden habe, es hätte mich gefreut, wenn es mir gelungen wäre, vielleicht hätte ich dann besser darüber erzählen können, aber die Zeit löscht immer auf der einen Seite etwas aus, um es auf einer anderen als etwas Neues zu beschriften.

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    Erneut machte ich mich auf den Weg zum Gundulić-Platz, der sich als mein Lieblingsplatz erwies, zu dem ich immer zurückkehrte, wenn ich durch die Straßen und Gassen streunte, auch später, wenn ich müde wurde, denn nirgendwo sonst fühlte ich mich so gut und konnte an keiner anderen Stelle der Stadt so tief durchatmen wie bei der Statue des Dichters Ivan Gundulić, vielleicht weil ich damals sein Epos »Osman« auswendig konnte und seine Verse oft aufsagte, sei es für mich allein oder auch für andere, und immer wenn mein Vater sich mit der Klugheit seines Kindes schmücken wollte, drängte er mich dazu, diesen Dichter zu rezitieren, um auf diese Weise alle sprachlos zu machen, die mir zuhörten.
    Die Mittagsglocken waren schon lange verklungen. Sie hatten die Schließung des Marktes angekündigt. Auf dem Marktplatz waren nicht einmal mehr die Reinigungskräfte zu sehen, die Steine waren sauber und nass, nur noch die Tauben pickten herum und

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