Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
immer dicht hinter ihm. Und als ein großer Spinnweben von irgendwoher angeflogen kam und auf dem Ärmel unseres Zauberers landete, sah ich es als Erster und pustete ihn sogleich weg, ich stand nahe genug und war voller Bewunderung für das, was er machte. Er hatte einen schönen Akzent und eine tiefe Stimme, er nannte uns das Jahr, in dem der Palazzo erbaut worden war, er kannte auch den Namen der damaligen Meister; es waren die Brüder Andrijić.
Und als dieser redegewandte Herr uns alles über die Geschichte des Sponza-Palastes erzählte, den er ab und zu mit dem Namen Divona bezeichnete, denn dort hatte sich einst die Zollstation befunden, wurde mir schwindelig. Ein Gefühl von Versteinerung nahm mehr und mehr überhand, stumm stand ich dort und konnte überhaupt nicht mehr hören, was der Mann erzählte, was er durch sein Spiel, seine Gesten und seinen Stab zu verdeutlichen suchte, es schien, als hätte sich mein eben noch vorhandener Gehörsinn vollständig von mir verabschiedet. Was hatte bloß zu dieser plötzlichen Veränderung geführt? Eine größere Begeisterung, als die, mit der ich ihm gefolgt war, hätte sich nicht einstellen können. Aber es gab einen anderen einfachen Grund dafür. Im Palazzo entdeckte ich in einer Ecke eine Braut, sie war ganz in Weiß und stand neben einem Pfeiler. An und für sich war dies nicht wirklich ein außerordentliches Ereignis, ich hatte so etwas schon öfter gesehen, auf einer Hochzeit hatte ich sogar einmal Mundharmonika gespielt, aber diese Frau im Palazzo sah mir direkt in die Augen, sie zwinkerte mir zu und lächelte mich sanft an, dann beugte sie ein bisschen ihren Kopf, als wollte sie mir zeigen, dass sie mich kannte, und als müsste nun ihrem Blick eine Umarmung folgen. Vielleicht spielte sie mit mir, forderte mich heraus und wollte mich ermutigen, sie weiterhin anzusehen, vielleicht wollte sie einfach noch ein wenig mit einem Jungen flirten. Vielleicht schmeichelte es ihr aber auch einfach nur, dass ich so sichtbar von ihrer Gestalt eingenommen war, denn etwas Schöneres hatte ich bisher tatsächlich noch nie gesehen, es war unbeschreiblich. Menschen und Epochen können in gleichem Maße verlocken. Ich hatte Gänsehaut, trunken sah ich diese fremde Frau an und bildete mir ein, sie zu riechen, ihren Duft wahrzunehmen, der sich dann in meiner Vorstellung im ganzen Raum ausbreitete. Dann stand auf einmal der Bräutigam da, er war einen Kopf kleiner als sie, hatte einen dünnen Schnurrbart, und an sein Sakkorevers hatte er sich ein Ästchen Rosmarin geheftet. Er nahm ihre Hand und sie gingen an mir vorbei, ihr Hochzeitskleid raschelte, als sei es aus Papier. Aber in Wirklichkeit war es Seide. Auf dem Marktplatz wurden die neu Vermählten mit Musik erwartet, unzählige Kinder waren da, dann hörte man Schüsse. Tauben flogen hoch, die Hochzeitsgesellschaft bewegte sich in Richtung der Kathedrale.
In den kleinen Straßen trieb ich mich lange herum, blieb stehen, schaute mich um, alle Menschen kamen mir schön vor, ich glaubte in ihren Gesichtern so etwas wie Güte sehen zu können, sie strahlten alle etwas Sanftmütiges aus, vielleicht war irgendein Feiertag? Ganz besonders war ich betört, wenn eine große schlanke Frau in einer Volkstracht an mir vorbeiging. Aber leider geschah dies nur selten. Irgendwann fand ich mich in einem Gässchen wieder, das gegenüber dem Franziskanerkloster lag, in dem einst das Fundhaus untergebracht war. Über der Tür stand etwas in lateinischer Schrift, ich sah mir das an, die Buchstaben waren am Tragbalken eingeritzt, ich versuchte alles zu entziffern, Buchstabe für Buchstabe, aber ich verstand nichts. Irgendetwas daran zog mich jedoch magisch an, ich stand hier noch viel länger als vor den vielen schönen Portalen oder Skulpturen, aber eigentlich gab es gar nichts zu sehen, außer der geheimnisvollen, aber nicht zu entziffernden Aufschrift. Ich hatte das Gefühl, dass sich mir jemand von hinten näherte, drehte mich um und sah einen eleganten Mann vor mir, sein schwarzes Haar glänzte und war ordentlich gekämmt. Mir kam der Gedanke, dass er mir helfen wollte, die Inschrift zu lesen, die es mir so sehr angetan hatte, deshalb freute es mich, dass er an mich herangetreten war. Er aber sah nur auf meine Schuhe, dann warf er mir zwei, drei strenge und unfreundliche Blicke zu. »Dass du dich nicht schämst!«, sagte er. »So ein Lümmel, treibt sich in der Stadt in Frauenschuhen herum. Genau solche Schuhe hatte meine
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