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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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kleine Tür und fand mich auf der dunklen Straße wieder. Ich wusste nicht, wie spät es war, ich fand mich nicht gleich zurecht, weil ich die Orientierung verloren hatte, aber ich schaute doch immer wieder zum Himmel hinauf, nur sah man die Sonne nicht, die Straße war voller Schatten, ich hatte das Gefühl, sie sei in der Zwischenzeit von allen Seiten abgesperrt worden, ja sogar von oben wies sie nun eine Begrenzung auf, weil die Leute Kleider zum Trocknen an den Wäscheleinen aufgehängt hatten, die die Sicht einschränkten. Es herrschte eine lähmende Stille, man hörte keine Stimmen in den Häusern, keine Schritte, nichts, auch Musik war nicht zu vernehmen, und die Fensterläden hatte man zugezogen. Vielleicht war das ja genau die Zeit in der Stadt, in der sich alle ausruhten, die Zeit der Siesta, in der man fest schläft, wie das am Mittelmeer so ist – nach einem Essen und einem Glas Wein. Bisher hatte ich mir ein genaues Gefühl für die Zeit erhalten, aber jetzt war es mir gänzlich abhandengekommen. Vorher hatte es genügt, den Verlauf der Sonne zu beobachten, um die Uhrzeit zu bestimmen, eine Armbanduhr hatte ich für so etwas nicht gebraucht. Aber wenn man einmal den Sinn für zeitliche Orientierung verloren hat, findet man sich in einer persönlichen Zeitlosigkeit wieder, in der nur die Irren glücklich sind, denn ihre Sorgen sind jenseits der Zeit, es ist ihnen vollkommen egal, ob sie selbst es sind oder nur die Zeit, die vergeht. Entmutigt sank ich zusammen in dieser dunklen Dubrovniker Straße, aber immerhin wusste ich noch, dass ich mich in der Nähe des Stradun-Platzes befand und dass ich damit auch, gedemütigt zwar, aber immerhin, bald in die »irdische Zeit« zurückkehren würde. Ich weiß nicht, warum ich mich nicht getraut habe, an irgendeiner Tür oder an die Fensterläden zu klopfen oder jemanden freundlich nach einer Abkürzung zum Gundulić-Platz zu fragen. So hätte ich auch erfahren, ob die städtische Uhr richtig ging. Aber ich traute mich nicht, die Städter bei ihrer wohlverdienten Ruhe zu stören.
    Am Ende der Straße erblickte ich einen Mann, der eine große Laterne auf seiner Schulter trug. Das war ganz sicher der Leuchtturmwärter, denn er tat dies mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit. Ich rannte ihm hinterher, aber er verschwand plötzlich hinter einer Ecke und ich verlor ihn, ich hörte auch seine Schritte nicht mehr, deshalb dachte ich, dass er wohl eine Erscheinung gewesen sein musste. Ich ging weiter in die Richtung, in die vielleicht auch der Leuchtturmwärter gegangen war, und fand mich an einer Stelle wieder, an der sich zwei Straßen kreuzten, wusste aber nicht, welche von ihnen ich wählen sollte, entschied mich dann für die breitere und hellere der beiden Straßen und hoffte, auf diese Weise dem Labyrinth zu entkommen. Ich ging sie bis zum Ende, bis zu einer kleinen Wand, begriff dann aber, dass man hier nicht weiterkam, ging dann in die kleine Straße und dachte, dass ich bei der Jesuiten-Treppe landen, von dort die Stufen hinabsteigen und somit den schönsten Weg zu meinem Marktplatz finden würde. Aber diese kleine Querstraße machte mir einen Strich durch die Rechnung und führte mich zu einem Portikus, in dem ich mich gänzlich verloren fühlte, ich lehnte mich an einen Stützpfeiler, nun war ich gezwungen, genau zu überlegen, wohin ich jetzt gehen wollte; dann plagte mich die Vorstellung, dass es jemanden in meinem Inneren gab, der im Stillen alle meine Entscheidungen manipulierte, der meine Bewegungen in die falsche Richtung lenkte, sodass ich so immer und immer wieder an einer falschen Stelle ankommen würde. Vielleicht hatte sich jemand einen Spaß daraus gemacht, mich in diesem Straßenwirrwarr in die Irre zu führen, um aus meinem Aufenthalt in der Stadt einen Albtraum zu machen. Ich nahm ein Steinchen in die Hand und kratzte etwas in die Wand hinein, ich malte ein gut sichtbares Kreuz, denn wenn ich noch einmal hierherkäme, würde mir dies die Bestätigung dafür liefern, dass es in dieser Stadt tatsächlich merkwürdige Kräfte gab, die auf mich Einfluss nahmen.
    Ich musste mich beeilen, ich spürte, dass mein Zug bald abfahren würde, die daraus entstehende Panik führte aber zu noch größerer Konfusion und ich rannte einfach blindlings los, riss dabei fast eine alte Frau auf den Boden, die wie aus dem Nichts aus einem Tor hinausgetreten war, gebeugt und an einem Stock gehend. Zum Glück fiel sie nicht hin, das hätte ich schwer verdauen

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