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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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eine meiner Leidenschaften, und man konnte sie mir nicht einmal mit Gewalt austreiben.
    Ich rannte nicht gleich nach Hause, sondern blieb erst einmal am Gleis stehen und wartete ab, bis der Zug sich geleert hatte, denn die Vorstellung, dass mein Vater im gleichen Zug gekommen sein könnte, ließ mich noch immer nicht los. Ich fragte sogar ein paar Bekannte, ob sie ihn gesehen hatten, und dann ging ich die einzelnen leeren Waggons ab. Die Luft war noch warm und es stank nach menschlichen Körpern und einem strengen billigen Tabak. Überall hatten die Leute ausgespuckt, fettiges, zerknülltes Papier lag auf dem Boden, Apfelreste und andere Abfälle waren zu sehen, und aus den Toilettenräumen drang ein stechend beißender Geruch zu mir vor. Ich beeilte mich, wollte so schnell wie möglich meine Fantasie auf ihre Tauglichkeit überprüfen und sehen, ob nun mein Vater mitgereist war oder nicht. Ich bildete mir ein, er könnte sich noch schlafend in einem Coupé befinden, denn auch zu Hause schlief er manchmal an den Nachmittagen einfach im Sessel ein. Aber ich fand ihn nicht, die Telepathie hatte sich nicht um uns gekümmert, ich war umsonst gereist, aber so ist es nun mal, es gibt immer Dinge, die sinnlos und umsonst sind. Wenn alles immer wunschgemäß verliefe, gäbe es niemanden, der etwas über die Lücken schreibt. Wenn es keine Verfehlungen gäbe, was wären wir dann? Glückliche Menschen? Ehrlich gesagt, ich fühle mich durchaus wie ein Glückskind, dessen Leben zwar letztlich eine Anreihung von Traurigkeiten ist, die zusammen eine einzige Sinnlosigkeit ergeben, aber die ich letztlich sehr gerne zum Anlass nehme, um das Leben zu besingen.
    Am Ende des leeren Zuges angekommen, blieb ich vor dem vorletzten Coupé stehen, weil ich auf der Holzbank eine geöffnete Truhe entdeckte, die voller Krimskrams war, zwei Fächer waren in der Truhe eingefasst, in denen mehrere glitzernde Objekte zu sehen waren. Ich wusste sofort, dass es sich dabei um einen Reiseverkaufsladen handelte, der Händler musste auch irgendwo und bestimmt in der Nähe sein, denn so etwas konnte niemand einfach so im Zug vergessen. Zwei breite Gürtel waren an der Truhe befestigt, die der Verkäufer sich über die Schulter hängen musste und so mit der ausgelegten Ware vor sich hertrug. Sicher hatte er seinen kleinen beweglichen Laden langsamen Schrittes durch die Straßen getragen und auf diese Weise sichtbar seine Waren feilgeboten. Wir nannten diese reisenden Händler Matani, die meisten Leute, die einen solchen Namen hatten, kamen aus der Gegend des Städtchens Imotski. Wir aber riefen einfach alle reisenden Händler so, ganz egal, ob sie von dort oder aus anderen Regionen kamen. Und während ich mir diese bunten Gegenstände ansah, kam so ein Matan aus der Toilette und zog sich gerade den Reißverschluss zu. »Der Hahn musste mal ein bisschen Blut lassen«, sagte er und lachte.
    Ich begriff überhaupt nicht, wovon er redete und was das zu bedeuten hatte, aber dieser Satz blieb mir in Erinnerung. Ich habe ihn und den dümmlichen Ausdruck auf seinem Gesicht nie vergessen können. Solche Sachen habe ich später noch Tausende von Malen gehört, ich selbst benutzte manchmal die raue Sprache der Vagabunden und kam oft genug mit schlechter Gesellschaft in Berührung, aber diese Metapher vom Hahn, der Blut lassen musste, blieb mir als eine besonders widerliche im Gedächtnis, ihre Bedeutung, wenn ich sie richtig verstanden hatte, war so armselig und geistlos wie kaum etwas anderes, das mir je untergekommen ist. Gedankenlosigkeit begegnet uns allen oft genug, das Schlimme ist aber, dass wir sie uns sogar Wort für Wort merken können.
    »Ich bin ein Krämer«, sagte er, »also nur jemand, der einen kleinen Bauchladen hat, ein kleiner Wanderer, wie man das in meiner Gegend sagt. Ich habe das, was man nirgendwo sonst bekommen kann, und dieser kleine Wanderladen bietet jedem etwas. Für dich habe ich ein Spiel, dem du nicht widerstehen kannst. Haste bisschen Geld dabei, hmm? Hast doch bestimmt was im Schuh stecken! Nicht wahr?«
    »Ja, ein bisschen was habe ich noch«, sagte ich.
    »Wie viel hast du denn?«
    Ich zeigte ihm, was mir übrig geblieben war, konnte nicht umhin, ein bisschen damit anzugeben, und zeigte ihm, was ich für meine Mutter und für meine Lehrerin gekauft hatte. Der Händler schaute sich meine Geschenke sehr genau an, besah sich sowohl das Wappen als auch die Glaskugel mit der Kathedrale. Dann lachte er bösartig, fast neidisch auf und

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