Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Vorsprungs zu sehen, und während der Tagundnachtgleiche bewegt er sich bis zum Stützwerk des ersten Pfeilers. Auch im Winter wird die Zeit von der Sonnenuhr gemessen, sonnige Stunden gibt es mehr als genug; dann zieht sich der Schatten in die Länge, er sieht aus wie eine Diagonale des Vordergebäudes. Vor allem in der Zeit um Weihnachten herum sieht man diese Verlängerung vom Dachkranz bis zum Boden des südlichen Vorsprungs und dem Anfang der Säulen-Kolonnaden. Als ich das alles einige Zeit später einem schlauen Buch entnommen hatte, fiel es mir leichter, die Zeit abzulesen, und wann auch immer in den darauffolgenden Jahren ich mich vor diesem Gebäude befand, blieb ich stehen und sah den Schattenbewegungen zu. Was ist mir dabei in Erinnerung geblieben? Die Zeit, die vergeht, oder doch eher jene, die im Gedächtnis haften bleibt?
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Es gelang mir, noch in letzter Sekunde den Zug nach Hause zu erwischen. Die Linie Nummer 1 von Pile nach Kantafig war so langsam wie noch nie, aber vielleicht kam mir das auch nur so vor; wenn man sich beeilen muss, kommt einem auch das schnellste Gefährt langsam vor. Auf dem Gleis standen kaum Leute, die Eisenbahnwärter waren gerade dabei, ins Bahnhofsgebäude zurückzugehen, und der Zug fuhr langsam an. Ich rannte los und erwischte ihn an der ersten Abbiegung. Die Reisenden starrten mich durch die Fenster und aus den Waggons an, einer von ihnen streckte mir die Hand entgegen und hielt sich mit der anderen am Türgriff fest. Als ich endlich hineinsprang, sorgte ich bei allen für ausgelassene Fröhlichkeit. Der fremde Mann ließ mich zu Atem kommen, dann nahm er mich auf dem Gang des letzten Waggons herzlich in die Arme. Ich bedankte mich, weiter kam ich aber nicht, denn der Zug war so voll wie eine Dose Sardinen. Man konnte kaum atmen auf dem Flur, und in den Coupés war es genauso. Junge, geschickte Männer kletterten auf das Dach, und auch ich konnte vom letzten Wagen aus ganz leicht heraufsteigen. Für uns, die wir in der Pionierszeit der Eisenbahn groß geworden waren, war dies eine unserer leichtesten Übungen. Das hatten wir oft genug gemacht, auch wenn der Zug halbleer war, bis man anfing, uns oben abzufangen und uns des Zuges zu verweisen. Wir waren auf den Zugdächern so etwas wie die Matrosen der Lüfte. Auf dieser Zugstrecke befand sich eine bergauf führende Kurve, die der Zug nicht nehmen konnte, wenn er zu voll war. Dort stiegen wir in der Regel aus, gingen ein paar Schritte zu Fuß und oben auf dem Hang wartete der Zug dann auf uns. Wie sehr wir uns auch immer abmühten, vor dem Zug oben anzukommen, es ist uns nie gelungen.
Ich hatte mir vorgenommen, an der ersten Station namens Sumet auszusteigen, gleich oberhalb des Flusses Dubrovačka, von draußen wollte ich durch die Fenster dann die Menge auf dem Gang in Augenschein nehmen. Als ich auf dem Dach gelegen hatte, war ich von der fixen Idee beseelt gewesen, im gleichen Zug wie mein Vater zu sitzen. Ich hatte mir dabei vorgestellt, dass man seine Rückkehr natürlich ganz und gar mir zuschreiben würde. Das wäre ein glückliches Spiel des Zufalls gewesen, der meine Vorstellungskraft genährt und meine Lügengebilde gestützt hätte, die es aber auch ohne diese erhoffte Fügung mehr als reichlich in meinem Kopf gab. Bis zur Bahnstation Zvekovica blieb ich auf dem Dach. Hier stiegen viele Reisende aus, es waren nicht so viele, dass die Gänge dadurch wesentlich freier geworden wären, aber ich konnte doch einen gemütlicheren Platz finden. So war ich wenigstens den Ruß und die Funken aus dem Schornstein der Lokomotive losgeworden, ich konnte in aller Ruhe auf dem Gangboden sitzen. Die mühsame Wegstrecke und den Aufstieg bei Uskoplje hatten wir schon hinter uns gebracht, ohne dass wir dieses Mal hätten aussteigen müssen. Unsere Lok stampfte und schnaubte, und manchmal dachte man, sie würde gleich den Geist aufgeben, man hätte gehend mit der Geschwindigkeit des Zuges fast mithalten können, aber es durften alle drin bleiben.
Schon bei der Einfahrt des Zuges in den Bahnhof von Trebinje sprang ich hinaus, nicht etwa, weil ich mich beeilen wollte, es war eher deshalb, weil ich das schon immer getan hatte. Ich liebte es, auf diese Weise meine Geschicklichkeit zu zeigen, obwohl mich die Eisenbahnwärter immer einzufangen versuchten, schon oft hatten sie es auf mich abgesehen. Zur Strafe musste ich immer etwas abarbeiten, das beeindruckte mich aber wenig, ich sprang dennoch immer aus dem Zug heraus. Es war
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