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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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sagte, das sei nur wertloses Zeug. Ich hatte den Eindruck, dass die Summe meines übrig gebliebenen Geldes ihn zufriedengestellt hatte, er fing nämlich an, in seiner Truhe herumzukramen und war auf der Suche nach irgendeinem Schnickschnack.
    »Das hier ist für dich, du wirst sehen, alle werden dich darum beneiden«, sagte er. »Das Geld, das du dabeihast, das reicht nicht mal für’n buntes Bonbon, aber wenn wir uns mal in der Stadt wiedertreffen, dann musst du mir einen ausgeben«, sagte er.
    In den Händen hielt er Spielkarten, er nahm sie aus einer Schachtel heraus und breitete dann mit großer Kunstfertigkeit das Spiel fächerartig vor mir aus, er hielt mir die Karten vorher immer unter die Nase, zog sie aber schnell wieder zurück, erlaubte mir also nicht, die Karten zu sehen. Obwohl ich neugierig und ungeduldig war, ließ ich mich auf ihn ein, hüpfte wie ein kleiner Hund nach oben, um die Karten zu schnappen, für die ich schon bezahlt hatte. Ich hielt mich an seinem Ellenbogen fest, aber er war sehr geschickt und schaffte es, mich wie Spinnweben abzustreifen. Er hielt die Spielkarten auch über meinen Kopf, sodass ich, weiter in die Höhe springend, sie zu schnappen versuchte, ich wollte ihm nicht das überlassen, was mir ja schon gehörte, auch weil ich Angst hatte, dass er mich überlisten und bestechen würde, aber er machte sich nur einen Spaß aus mir, quälte und provozierte mich, sichtlich genoss er es, mit mir zu ringen, und fing sogar an, mich mit der freien Hand zu kitzeln, was mich vollkommen paralysierte. Ich bekam kaum noch Luft, stemmte mich gegen ihn mit meinen Füßen, er aber lachte so genüsslich, dass ihm dabei die Tränen kamen, ohnmächtig lag ich auf der Holzbank im Coupé und als er sich über mich beugte, floss ihm Speichel aus dem Mund, ein durchsichtiger Schleimfaden, der sich langsam in die Länge zog und irgendwann abfiel und widerlicherweise direkt auf meinen Mund tropfte. Zum Glück gelang es mir irgendwie, mir mit dem Arm den Mund abzuwischen. Es war ekelerregend. Auch er war außer Atem, und noch immer über mich gebeugt sagte er: »Du musst jedem Geld abnehmen, dem du diese Karten zeigst! Denn du hast sie praktisch von mir geschenkt bekommen. An den anderen kannst du das verdienen, was du jetzt an Schulden bei mir hast. Dann kannst du sie Stück für Stück begleichen und es wird noch genug für dich übrig bleiben.«
    »Ja, gut«, sagte ich und krümmte mich unter dem Druck seiner Knie, »lass mich jetzt los und gib mir endlich meine Karten.«
    »Du wirst mir also das Geld bringen?«, fragte er.
    »Ja, das mache ich«, sagte ich. »Morgen bringe ich dir das Geld, sag mir nur, wohin.«
    »Du weißt doch ganz genau, wo die Matani übernachten«, sagte er und ließ mich endlich gehen.
    Ich schnappte nach den Karten und rannte aus dem Waggon, schnell kam ich zu dem Wasserhahn am Bahnhof, trank einen Schluck und wusch mir den Mund aus; ich hatte das Gefühl, dass meine ganze Kleidung und Haut seinen Schweiß aufgesogen hatten. Ich versteckte mich im Gebüsch hinter dem Wasserhahn und sah mir zum ersten Mal richtig an, was ich mir von ihm überhaupt gekauft hatte. Das Spiel bestand aus sechzehn Karten; vier Damen, Könige und Buben in den einzelnen Spielfarben Treff, Pik, Karo und Herz, ein Joker in allen vier Farben. Es waren keine gewöhnlichen Karten, es waren schamlose, unerhörte und gänzlich obszöne Karten. So etwas sah ich zum ersten Mal und bekam einen riesigen Schreck. Ich schaute mich unruhig um, aus Angst, dass mir jemand gefolgt sein könnte und mich nun heimlich beobachtete, vielleicht hatte sich der schreckliche Krämer angeschlichen und würde mich nun der Polizei ausliefern. Ich verlor die Kontrolle über mich und fing an zu zittern. Als ich den Bahnhofsvorsteher erblickte, duckte ich mich und starrte weiterhin reglos auf die Karten. Die Joker waren richtiggehend vulgär, die Damen und die Könige waren lediglich nackt, die Buben hatten alle eine Erektion. Es gelang mir irgendwie, die Karten aufzuteilen und in meinen Schuhen zu verstecken, und als ich mich erhob und meine Hände in die Taschen steckte, begriff ich, dass die Geschenke für meine Lehrerin und meine Mutter verschwunden waren. Entweder hatte ich sie im Kampf mit dem Typen verloren oder der Verrückte hatte sie mir gestohlen. Ich hatte das Gefühl, auf der Stelle an meinem Unglück zu ersticken, dachte, dass ich ohne die mitgebrachten Dinge umkommen würde, ich packte das Gitter, riss eine Latte

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