Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
heldenhaften Taten von Kriegssoldaten, erzürnten uns über Ungerechtigkeiten und hassten die Bösen. Alles in allem kann man zusammenfassend festhalten, dass die Gesichter aus den Filmen, jene weit entfernten unbekannten Welten, Stück für Stück Teil unserer persönlichen Erfahrung und unseres Alltags wurden.
Wenn wir im Foyer auf den Beginn der Vorstellung warteten, zerrte ich Mutter manchmal ruppig in eine Ecke, um mich vor den neugierigen Blicken der anderen zu schützen, ich hielt den Kopf gesenkt oder starrte gebannt auf die Gesichter der Schauspieler, die als Fotos an den Wänden der renovierten Eingangshalle hingen. »Du hättest irgendetwas anderes anziehen können«, sagte ich. »Das Kino ist keine feierliche Sache, die anderen Frauen kommen auch in ganz normalen Schuhen. Ich schäme mich wegen dir«, sagte ich. »Ich will aber nicht, dass die Leute sagen, ich sei nachlässig geworden, seitdem ich schwanger bin«, sagte sie. »Ich bin auch eine Dame, ich habe das Recht auf meinen Hut.«
Im renovierten Kinosaal bekamen wir die besten Plätze, in der zehnten Reihe, Parterre. Das war jene Reihe, die einen größeren Abstand hatte und die sich auf einem leicht erhöhten Podium befand. Man konnte die Beine ausstrecken; diese Plätze bekamen sonst immer nur die Verwandten und Freunde der berühmten Kassiererin Mara, die sich jeden Film genauso oft ansah, wie er im Kino gezeigt wurde. Die Sitze nummerierte man bald, und vor jeder Vorstellung ging eine Platzanweiserin durch den Saal und besprenkelte ihn mit einer kleinen Handpumpe, sodass es danach etwas anders roch. Einmal wurde der Film How green was my valley in der Regie von John Ford gezeigt, mit Walter Pidgeon und Maureen O’Hara in den Hauptrollen. Mutter hatte nach vielem Hin und Her endlich die richtige Sitzhaltung gefunden, sich aber dann stolz neben ihren Sitz gestellt, damit sie auch ja jeder sehen konnte, um sich danach doch wieder ächzend auf ihren Platz zu werfen, demonstrativ hielt sie dabei immer die Hand auf dem Bauch, den sie absichtlich in die Höhe stemmte. Die Art, wie sie den Film schaute, fand ich manchmal sehr lustig, aber ihre Kommentare ärgerten mich mehr und mehr, ihre Gesten, vor allem die tiefen Seufzer gingen mir genauso auf die Nerven wie ihre unartikuliert kehligen Schluchzer. Ich stieß ihr den Ellenbogen in die Rippen, einmal zwickte ich sie sogar ganz fest. Ich erinnere mich, dass sie nach der Schießerei in einem Western schreiend behauptete, dass sie den Geruch von Schießpulver in der Nase hatte.
Nach der Rückkehr aus dem Kino fanden wir Vater am Küchentisch sitzend vor. Er war mit irgendetwas beschäftigt, hob nicht einmal den Kopf, sah uns nicht an, weil er versuchte einen Überblick über seine Tageseinnahmen zu bekommen, er zählte das Geld mehrfach hintereinander, irgendetwas schien nicht zu stimmen. »Da klafft mir doch eine große Lücke zwischen den Einnahmen und den Ausgaben«, sagte er. Abends blieben wir länger wach als unsere Nachbarn, die sehr früh zu Bett gingen, wie die Hühner, mit der ersten Dunkelheit, während wir in der Nacht richtig auflebten, wir hatten Zeit, es war nichts mehr zu tun, außerdem begriffen wir das Leben in der Stadt als eine Pflicht zum längeren Wachbleiben, man sollte ruhig noch sehen, dass bei uns das Licht brannte. Die Vorbeigehenden durften neidisch darauf gewesen sein, denn wir mussten nicht am Strom sparen. Und wir stellten uns vor, dass die anderen über uns sprachen und sich vorstellten, wie viel wir einander zu erzählen hatten. An manchen Abenden gab es auch Musik bei uns, das war in der ersten Zeit nach der Befreiung; die Menschen freuten sich und ließen sich bei Musik ein bisschen gehen, denn nun waren das Blutvergießen und der Krieg endlich vorbei, deshalb waren auch wir fröhlich, wir hatten neue Freunde und luden sie zu uns ein.
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Ich weiß nicht, warum ich den Rhythmus dieser Erzählung verlangsame und zu dem zurückkehre, was ich schon an anderer Stelle etwas beiläufig angekündigt habe; ich habe es in jenem Kapitel getan, in dem ich nur am Rande auf die Lebensgeschichte meiner armen Großmutter Vukava zu sprechen gekommen bin. Ich hatte schon berichtet, dass sie vor eine große Schwierigkeit gestellt wurde, und zwar genau in jenem Augenblick, als sie sich ein wenig von ihren vielen inneren Wunden und Verlusten erholt hatte. Aufzählen möchte ich sie nicht noch ein weiteres Mal, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich mich an diesen Wunden
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