Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
einen Hut getragen hatte und das auch überhaupt nicht zu ihr passte, ich fing sogar an zu weinen und sagte, die ganze Schule würde über mich lachen.
»Gut, ich gehe den Hut besorgen«, sagte Vater. »Was für einen willst du denn? Einen Strohhut? Einen weißen, einen schwarzen?«
»Einen schwarzen«, sagte Mutter.
»Willst du einen mit einem großen Trauerband oder mit einer Krempe? Eine Schwangerschaft ist doch keine Trauer, gute Frau«, sagte Vater. »Ich will einen schwarzen, mit einer großen Krempe«, sagte sie.
So war die Sache mit dem Hut, aber dabei ist es nicht geblieben, wir mussten ihr sogar ins Gesicht sagen, dass sie nun übertrieb, dass sie kleinlich war und dass wir sie so nicht kannten. Ein anderes Beispiel für ihren Eigensinn war der Milchkaffee. Sie wollte ihn nur aus einer ganz bestimmten Tasse trinken, das galt auch für alles andere; außerdem hatte sie das Verbot ausgesprochen, niemand sonst dürfe aus der Tasse trinken. Es war kindisch, aber wir fügten uns ihrem Regime. Wir mussten sie jeden Tag mit Schnaps massieren, entweder Vater oder ich, den Rücken mussten wir ihr ordentlich durchkneten, die Wirbelsäule und auch die Oberschenkel. Am Essen hatte sie immer etwas zu nörgeln und manchmal ging sie dabei zu weit; sie forderte Eier mit zwei Eigelb, weil ihre Mutter, meine Großmutter Jelica, ein solches Huhn hatte, das diese Eier austrug. Wir versuchten, ihr alles recht zu machen. Es gab Frauen aus L., die mit dem Zug kamen und auf dem Markt ihre Waren verkauften, nicht nur am Wochenende, sondern auch an den anderen Tagen. Sie brachten also diese Eier mit zwei Eigelb, ein paar ältere Frauen vom Dorf rieten allerdings davon ab, sie zu kaufen, sie lasen aus dem Kaffeesatz und sagten, sie dürfe nichts anrühren, was irgendwie doppelt war, denn das könnte in einer Schwangerschaft dazu führen, dass sie am Ende Zwillinge zur Welt brachte. Das aber wäre ein Risiko gewesen, zuerst natürlich bei der Geburt selbst, und dann war es durchaus ein Unterschied, »zwei Mäuler« oder nur ein Kind zu ernähren. Aber Mutter hatte auch schon vor ihrer Schwangerschaft auf dem Markt immer mit Vorliebe Früchte gekauft, die miteinander verwachsen waren, sie aß sie gleich am Stand auf. Sie erzählte dann, dass sie von ihrem Vater, der ein weiser Mann gewesen sein soll, immer die Erzählung gehört hatte, alles, was von Natur aus zusammengewachsen sei, stünde unter Gottes besonderem Segen und sei eine Botschaft der Natur. Ihre Mäkeleien waren manchmal unerträglich, so verlangte sie einmal, dass wir sie nach Gruž bringen sollten, sie hatte gehört, dass ein großer Ozeandampfer am Hafen angelegt hatte, und den wollte sie sich angucken, besonders die Kojen schienen sie zu faszinieren. Es gelang uns nur schwer, ihr diesen Ausflug auszureden.
Vater hatte viel im Gemischtwarenladen zu tun, auch in der Gaststube liefen die Geschäfte gut, er blieb bis spät in den Abend dort unten, es wunderte uns, dass er wenig trank, Mutter konnte ihre boshaften Bemerkungen nicht unterlassen und sagte, er habe noch nie weniger getrunken. Ich half ihm nach der Schule, genauso wie an den schulfreien Tagen. Statt mit meinen Freunden spielen zu gehen, rannte ich aus dem Klassenzimmer direkt ins Geschäft. Aus Dubrovnik kamen regelmäßig unsere Warenlieferungen, zum ersten Mal hatten wir viele Vorräte, noch nie waren die Regale so voll und reich bestückt wie in jener Zeit. Die beiden Paranos-Brüder beneideten uns, standen oft vor unserer Auslage und sahen sich die vielen Leute an, die bei uns zu viel besseren Preisen einkauften. Vaters Freund Ljubo Maras überließ uns die Waren mit einem großzügigen Zahlungsaufschub, er war ein gutherziger Mann, und Vater sagte über ihn, er schaue auf seine Geschäfte mit einer bewundernswerten Gelassenheit, denn er sehe gar keinen Sinn mehr darin, bloß Geld anzuhäufen; nach fünfzehn Jahren kinderlos gebliebener Ehe habe er die Hoffnung verloren, dass seine Frau ihm noch Nachwuchs schenken könnte. Aber er wusste auch, dass die gesellschaftlichen Umwälzungen für Kapitalisten und Geldhorter keinen Platz übrig lassen würden, er fühlte sich in jener Zeit sogar immer mehr als Verlierer. Damals wollte er vor der Inventur und der Liquidation seines privaten Eigentums einfach alles loswerden und sein Vorratslager ganz und gar leeren. Deswegen dachte er, es sei das Beste in so einer Situation, einem Freund zu helfen, besser als alles einem Staat zu überlassen, der ihm alles
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