Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Wächter oder irgendein anderer Beamter. Die Leute, die hier beschäftigt waren, erweckten in allem den Eindruck einer führenden Elite; das Zimmermädchen war besser gekleidet als meine von mir geschätzte Lehrerin, mit einem höheren Gehalt als jede andere gebildete Frau. Um die Wichtigkeit und Bedeutung dieses Gebäudes noch mehr aufzuwerten, wurde es irgendwann offiziell Titos Villa genannt, auch wenn der Staatsmann nie einen Blick in sie hineinwarf; jeder, der hier allerdings vorbeischaute, erweckte den Eindruck einer hochstehenden Persönlichkeit, war eine geachtete Respektperson.
Sobald sich Anđelko niedergelassen hatte, ließ er die Haushälterin rufen und bestellte ein Essen für zwei. Vor dem Abendessen sah er sich die Appartements des Hauses an, inspizierte die Küche, die Kammer und die Vorräte; es handelte sich dabei um eines von vielen Häusern, die sich im Besitz des reichen Händlers Antun Meštrović befunden hatten. Recht besehen war es ein Palazzo, in dem sein jüngster Nachfahre bis 1945 gelebt hatte, bevor er emigrierte, aber er war kein Kollaborateur und hatte auch nicht den faschistischen Unabhängigen Staat Kroatien unterstützt, er war einfach nur ein Antikommunist. Anđelkos erster und liebster Gast war Viktor Bloudek, das Treffen begann emotional, so wie das nun einmal unter einander vertrauten Menschen der Fall ist. Das festliche Beieinander zog sich über Stunden, und das Dienstmädchen bewirtete sie, niemand sonst durfte das Haus betreten, obwohl sich ein paar Karrieristen vor das Haus stellten, um die beiden Autoritäten zu begrüßen. Die erste lautstark bekundete und freudige Zusammenkunft machte späteren ruhigeren Begegnungen Platz, es ging nicht mehr übermütig zu, sie umarmten sich auch nicht alle paar Minuten, sie sprachen leiser miteinander, verabschiedeten sich unterkühlt, sogar in einer düsteren Stimmung; den anderen heuchelten sie Herzlichkeit vor, das Treffen verlief heiter, man schmeichelte den beiden Protagonisten des neuen Staates. Es waren verkommene Zeiten; Sommer 1948; man wusste schon von der Resolution des Kommunistischen Informationsbüros, es herrschte Misstrauen auch unter den Kommunisten, die bis gestern noch einander nahe Kampfgenossen gewesen waren.
Viele, die vorher in dieser Residenz gewohnt hatten, waren bekannt, man wusste genau, wer sie waren und wo sie arbeiteten und ob sie in der Regierung oder etwa im Ministerium beschäftigt waren, nur Anđelko stellte für alle ein Rätsel dar, deshalb überschlug man sich mit Spekulationen über ihn und übertrieb natürlich. Hätte man ihm nicht einen hohen Posten angetragen, wäre Titos Villa nie zu seiner Adresse geworden, aber wo er beschäftigt war und was er genau tat, wusste niemand, mit einem wohlklingenden Titel konnte man ihn also auch nicht ansprechen. Es gab aber durchaus Versuche der Überrumpelung; man sprach ihn mit Wörtern wie »General« oder »Minister«, ja sogar mit »Präsident« an, aber mit diesen Angelhaken fingen sie keine Fische. Anđelko stellte sich ihnen und las ihnen die Leviten, hielt krude Vorträge über ihre Dummheit, indem er ihnen erzählte, dass sie offenbar davon ausgingen, ein »Minister« oder ein »Präsident« stünden in der Rangordnung höher als ein gewöhnlicher Mensch; solche wie sie würden schon morgen die Menschen wieder in unterschiedliche Rassen aufteilen, ihre Nachbarn töten, weil diese einen anderen Glauben als sie selbst hatten, obwohl der andere Glaube den eigenen nicht im Geringsten bedrohte; solche Leute würden die größten Verbrechen begehen, wenn man sie nur dazu anregte und wenn jene, vor denen sie sich in die Hosen machten, ihnen ein kleines Zeichen gaben. Der Mann war gefährlich, er beleidigte seine Schmeichler, noch mehr aber setzte er jenen zu, die ihn offen kritisierten.
Erst von seiner Haushälterin aus der Villa erfuhr ich etwas über meinen Onkel, es war eine wortkarge Frau, die ihn mit allerlei köstlichen Gerichten umgarnte; er aß aber wenig, am liebsten etwas gegartes Gemüse, und trank ein Glas Wein, aber auch mal ein Bier. Die Haushälterin versuchte einmal, ihm etwas Besonderes zu kochen, und fragte, ob er vielleicht etwas Einheimisches essen wolle, sie schlug ihm gedörrtes Hammelfleisch, Gemüsekohl mit weißen Kartoffeln und Gewürzen, frischen Rahm oder Polenta vor. Er gab ihr eine kurze, aber klare Antwort: Genau davor sei er weggelaufen. Er war ein herzlicher Mensch, allerdings nur, wenn niemand etwas sagte, das seinem
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