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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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Gegenteil, ich habe oft die Verantwortung für etwas übernommen, was ich selbst gar nicht getan hatte, aber andererseits bin ich oft in komplizierte Grenzsituationen geraten, Leidenschaften und anderes Verwegene waren die Sünden, die sich daraus ergaben; grundlos habe ich gelogen; das alles würde ich sicher nicht mehr tun, wenn man die Vergangenheit verändern könnte. Man hat mir geraten, die erotischen Karten aus diesem Buch wegzulassen oder, wenn ich diese Episode einfließen lasse, dann doch nicht mit allzu viel Gewicht, sondern nur in ein, zwei Sätzen, aber ich bin letztlich nur meiner Erinnerung treu geblieben, möge es auch um den Preis des Ganzen sein. Nicht zuletzt verdankt es sich schließlich dieser Begebenheit, dass mich Pornografie nie wirklich interessiert hat, das kann ich mit einigem Stolz sagen, und auch, dass dieser Widerwille in mir mehr und mehr wächst, ohne dass ich dabei ein verdrießlicher Dickschädel geworden wäre, der wie Nikolaj Alexandrowitsch Berdjajev denkt, »dass Sex Erniedrigung ist«, nein, nein, darum geht es mir überhaupt nicht. Das hier ist kein Pamphlet gegen die Lust, bis gestern habe auch ich noch auf der Straße gelebt, war mir selbst überlassen, wurde von jeder kleinen sinnlichen Verlockung angezogen, der ich mich auch immer, ohne zu zögern, ergab. Jeder von uns hat beharrlich und lange nach einer »weisen Frau« Ausschau gehalten, wie Sokrates den heiligen Berg Eros genannt hat. Und während ich all das beschrieben habe, habe ich nur nach Beweisen meines eigenen Daseins gesucht.

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    Kaum war unser Gemischtwarenladen geöffnet, war schon ein Kunde mit Neuigkeiten zur Stelle, er sagte uns, für Trinkgeld sei in jedem Fall schon einmal gesorgt, er wollte aber erst etwas erzählen, wenn wir versprochen hätten, ihm einen auszugeben. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wer genau der Überbringer der Nachricht war, vielleicht einer jener Nichtsnutze, die sich schon in den frühen Morgenstunden vor dem Geschäft oder an einem der Tische postierten und den ganzen Tag damit zubrachten, die Leute zu beobachten, um zu sehen, was sie einkauften, und manchmal kamen sie auch mit der Kundschaft ins Gespräch, wobei sie ihnen bedeutungslose oder wahnwitzige Fragen stellten; doch alles, was sie damit erreichten, war nur eine nachhaltige Irritation. Solche Leute verscheuchte mein Vater dennoch nie, er setzte sich sogar zu ihnen, und wenn sie ihm etwas hinter dem Ladentisch stahlen, dann tat er so, als bemerke er es nicht, während ich mit dem Besen auf sie losging, vor allem dann, wenn ich sie dabei erwischte, auf den Boden zu spucken oder ihren Nasenrotz vor unserer Tür abzuwerfen. Ich konnte sehr ruppig zu ihnen sein, aber hinterher tat es mir immer leid. Die Neuigkeit, um die es ging, betraf die Ankunft meines Onkels Anđelko, der zum ersten Mal nach der Befreiung in diese Stadt zurückkam. Sofort rannte ich die Treppen hinauf und weckte meine Mutter, ich war aufgeregt, das war ein großes Ereignis, mein Onkel, um den sich so viele Geschichten rankten, war gekommen; ich träumte oft von ihm, obwohl ich ihn nie gesehen und ihn nur von einer einzigen Fotografie kannte. Vater blieb bei der Nachricht um die Ankunft des Bruders ruhig und zurückhaltend; ich kann mich noch daran erinnern, dass er hinter der Ladentheke stand und leise sagte: »Er weiß, wo er uns findet und dass wir verwandt miteinander sind, er wird schon kommen, wenn ihm danach ist.«
    Von Anđelkos Ankunft wusste nicht einmal sein bester Freund und Kampfgenosse Viktor Bloudek, ein Mann, der in der Stadt über alles Bescheid wissen musste, denn für ihn arbeiteten jede Menge Leute und die Städter überschlugen sich darin, ihm die eine oder andere Neuigkeit zu übertragen, um jemanden anzuzeigen. Es war verwunderlich, wie sie ihm schmeichelten; als sei er ein Gott, steckte ihm immer jemand etwas, sogar ohne irgendeinen Nutzen davon zu haben, sie erwarteten keinerlei Entschädigung oder Lob von ihm. Er logierte in einem alten Steinhaus im Zentrum der Stadt, das nur für angesehene Persönlichkeiten hergerichtet worden war. Es war ein exklusives Haus, in dem sich drei Appartements mit Badezimmern, eine Küche und ein Salon befanden, wo gespeist wurde. Ein Koch und eine Bedienstete waren, ob mit oder ohne Gäste, in dieser Villa fest angestellt. Uns war es nicht erlaubt, uns vor diesem Gebäude überhaupt aufzuhalten; immer sprang jemand auf die Straße und verscheuchte uns, ein Angestellter vom Rathaus, ein

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