Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
unserem Laden. Ich hatte gerade den Boden gefegt und mit Wasser bespritzt, während mein Vater hinter der Theke die Getränke in Flaschen umfüllte. Anđelko ging aus der Limousine direkt in unser Geschäft hinein, er war fröhlich und gut gelaunt, begrüßte seinen Bruder, mit etwas Distanz und ohne ihn zu umarmen, und mir streichelte er über den Kopf.
»Ich dachte, du gibst dich nicht mit Leuten ab, die Schlösser besitzen und seelenlos ihr Geld verdienen«, sagte mein Vater.
Mein Onkel blieb stehen und sah sich um, er betrachtete unser alles andere als wohlhabend ausschauendes Geschäft. »Nach dem neuen Gesetz darf man nicht mehr den Verkaufsladen zusammen mit der Wirtschaft in einem Raum betreiben, man kann keine betrunkenen Leute, die sich erbrechen können, dort beherbergen, wo auch Grundnahrungsmittel verkauft werden«, sagte er.
Dann kam meine Mutter herein, breitete die Arme heraus und brachte Lebendigkeit in den Raum; herzlich begrüßte sie ihren Schwager. Ihre Art, mit der sie auf Menschen zuging, hatte etwas Ehrliches an sich, sie war beglückt und freute sich, weil sie davon überzeugt war, dass die Begegnung zweier Menschen, vor allem, wenn sie miteinander verwandt waren, immer herzlich sein sollte, ganz egal was und wann sich etwas zwischen ihnen ereignet hatte, ob sie ein angespanntes Verhältnis hatten oder irgendein anderes Schicksal sie miteinander verband. Das hatte sie von ihrem Vater gelernt, der zu Lebzeiten noch weiter als sie gegangen war und sogar bereitwillig den eigenen Feinden seine Hand gereicht hatte. Auch Anđelko hatte diese Art von Herzlichkeit an sich, er umarmte meine Mutter ganz fest, beugte sich dann zu ihrem Bauch und legte sein Ohr darauf. »Wollen wir mal hören, ob unser Nachfahre einen Ton von sich gibt«, sagte er.
Er setzte sich nicht einmal hin, ging einfach immer nur hin und her; wir wünschten uns sehr, dass dieser Weltenbummler etwas länger bei uns bliebe, aber er war allem Anschein nach zu ungeduldig und hatte es eilig. Er war nachlässig gekleidet, trug einen zerknitterten leichten Sommeranzug aus Leinen und in seiner Tasche steckte eine Sonnenbrille. »Ich bin auf dem Sprung, es tut mir leid«, sagte er. »Das hier lasse ich für Mutter da, ich hatte keine Zeit, selbst bei ihr vorbeizuschauen.«
Auf den Tisch legte er ein riesiges Bündel Geldscheine; so viele große Scheine hatten wir schon seit langem nicht mehr gesehen. Einen Schein zog er heraus und gab ihn mir, dann legte er seine Hand auf meine Schulter und bat mich, noch heute diesen »Sündenablass der Mutter zu übergeben«. »Weiß man denn, was mit uns kleinen Händlern jetzt passieren wird? Wird der Staat uns auch die Geschäfte wegnehmen?«, wollte mein Vater wissen. »Wenn das Gesetz Privatbesitz abschafft, dann werden vor dem Gesetz Klein- und Großhändler gleichermaßen behandelt«, sagte Anđelko. »Handelsleute sind Ausbeuter, jetzt müssen sie zurückzahlen, was sie über Jahre hinweg gehamstert haben, Angst habe ich aber nicht um sie, denn ganz egal ob es sich um einen kleinen Ladenbesitzer handelt, den Leiter einer kleinen Drogerie, um einen Kneipenwirt oder einen Großhändler, ob es einen Wucherer oder Feudalherrn betrifft, ich bin mir sicher, dass sie genug von ihren Einnahmen zur Seite gelegt haben und damit nicht nur für ihre, sondern auch ihre Nachfahren gesorgt haben. Wenn wir uns ihre Häuser oder Ställe ansehen würden, so fänden wir sicher vergoldete Mistgabeln und Säcke gefüllt mit wertvollen Gütern. Bei einem Goldhändler aus Mostar hat man sechs Silberpistolen und zwei goldene Stahlhelme gefunden, die man mit einem militärischen Oliv übermalt hatte, um das Gold zu kaschieren. Seine Sau hat auf dem Hof aus diesem goldenen Gefäß getrunken, ein Gold, von dem niemand etwas gewusst hatte – vierundzwanzigkarätig! Wenn ihr etwas Wertvolles besitzt, irgendeinen Schmuck oder ein Stückchen Gold, so entfernt es aus dem Laden«, sagte er. »Dem Himmel sei Dank, so etwas haben wir nicht«, sagte mein Vater. »Und das hier, was du im Laden sehen kannst, haben wir auf Kredit bekommen, wir sind so verschuldet, dass uns recht besehen nur diese staatliche Liquidation des Privateigentums retten kann.«
»Ich weiß, dass ihr nichts habt«, sagte Anđelko mit zärtlicher Anteilnahme, dann umarmte er noch einmal meine Mutter und verabschiedete sich von uns in der Manier eines großen Reisenden.
Er hatte seine Worte mit Behutsamkeit ausgesprochen, eine andächtige Ruhe war im
Weitere Kostenlose Bücher