Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
mir leichter, ihn zu ertragen, wenn wir miteinander sprachen, denn wenn er schwieg, hörte man nur seinen Atem, und das jagte mir maßlose Angst ein. Nach den Schweigepausen wechselte seine Laune, seine Stimme wurde milder. Sanft und zärtlich sagte er, ich könne meine Sünde loswerden, wenn ich mich ihm überließe, dann versuchte er sich als Spaßvogel, lachte immer öfter und begann dann sein Geschlecht zu lobpreisen, beschrieb es detailliert, kam mehrmals darauf zu sprechen, dass sein Glied nicht bissig sei, sagte, dass seine »harte Gurke« immer für Streicheleinheiten aufgeweckt sei und jede Berührung dankbar erwidere.
»Ich bin mir sicher und auch bereit, unter Beweis zu stellen, dass ich meinen Samen sogar bis zur Wand, an der du stehst, schleudern kann. Weißt du, was Samen überhaupt ist?«, fragte er mich, fing dann sogleich an albern prustend zu lachen und sprang auf der Stelle herum, sodass ich mich an die Worte meiner Urgroßmutter Petruša erinnert fühlte, die einmal gesagt hatte, der Teufel lache auf eine ansteckende und hässliche Weise, denn er habe »keinen Grund zu lachen«. Das meiste, was der Teufel von sich gab, habe ich nicht verstanden, seine Worte hatten keinerlei Bedeutung für mich, aber über all das schrieb ich meinen Hausaufgabenaufsatz, und als ich ihn später las, zweifelte ich selbst an den Vorkommnissen, wusste nicht mehr, ob der Besuch des Teufels echt oder ein Ergebnis meiner Panik und Vorstellungskraft war. Die Lehrerin gab mein Heft an das Archiv der Schule weiter; dort befanden sich andere Aufsätze, die noch vor dem Krieg von unfolgsamen Kindern dieser Schule geschrieben worden waren, manche von ihnen sind bekannt geworden, aber mein Aufsatz wurde als einziger zur von allen gelesenen Lektüre, niemand wusste, wie er überhaupt in die Hände vieler Lehrer gelangt war, wer ihn auf der Schreibmaschine abgetippt und kopiert hatte. Man las meinen Aufsatz wie verbotene Literatur; eine Kopie kam auch irgendwie in meine Hände, aber ich erinnere mich nicht mehr daran, wer sie mir gegeben hat. Der Text kam auch auf mir unbekannten Wegen in die Stadtverwaltung; dort deutete man alles, was ich verschlüsselt beschrieben hatte, auf eine krude einfache Weise. Selbsternannte Literaturfachleute vermuteten »hinter meiner bunten und ausufernden Imagination die blanke Realität«.
Keiner, der den Text in die Hände bekommen hatte, glaubte an die Erscheinung des Teufels, vielmehr versuchte man zu erraten, wer das sein könnte, wer sich da so in der Rolle des Teufels übernommen hatte, ob es jemand aus der Schule sein konnte, ein verkommener Junge aus den höheren Stufen, vielleicht aber sogar ein Lehrer, der Schulleiter selbst, dem man schon seit langem einen Hang zu kleinen Knaben nachsagte. Der strenge Inspektor, der in meiner Vorstellung eine Inkarnation des Teufels war, versuchte sich in psychologischer Deutung und sagte, »das Kind hat in seiner Fantasiewelt, im Angstzustand vor der Dunkelheit, seine Version des Übernatürlichen erschaffen, es borgt sich dafür die Worte der Menschen aus, die ihn umgeben«. Er war sich darin sicher, dass der kleine Häftling von einem schlichten menschlichen Wesen besucht worden war, aber es sei eben krank und pervers gewesen, deshalb schlug er vor, dass man die Einzelzelle in Zukunft hin und wieder in Augenschein nehmen sollte. Meine Lehrerin gab zu bedenken, dass ich auch schon früher in meinen Hausaufgaben Dialoge, die ich irgendwo aufgeschnappt hatte, mit Ausgedachtem angereichert hatte, dass es mir erfolgreich gelungen war, normale Gespräche in die Münder merkwürdiger und fremder Figuren zu legen. Mich fragte man natürlich auch aus, aber ich blieb dabei und sagte, es habe sich um den Teufel höchstpersönlich gehandelt. Immerhin trug mein Text dazu bei, dass man schon bald diese Art von erzieherischem »Hausarrest« abschaffte. Und wenn ich schon als der »pornografische Fackelträger« an unserer Schule bekannt geworden bin, bin ich es wenigstens auch gewesen, der durch die Niederschrift seines Textes zur Abschaffung dieser Art von Bestrafung beigetragen hat.
Aber jetzt, während ich dieses Buch schreibe, denke ich, dass sich jeder von uns mehrmals in den unterschiedlichen Lebensetappen auf irgendeine Art und Weise lächerlich gemacht hat. Von mir kann ich sagen, dass ich mich bei der einen oder anderen ernsthaften Angelegenheit nicht zu schämen brauche, ich habe nie jemanden denunziert und nie einen anderen Menschen erniedrigt; im
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