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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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Das waren ihre eigenen Worte. Mehrmals sagte sie: »Wem sollen wir denn all das, was wir besitzen, hinterlassen?«
    Dann starrte sie mich kurze Zeit an und dachte, ich würde mich an ihren Angelhaken hängen und mich als Nachfolger empfehlen, aber ich versuchte philosophisch zu sein und antwortete ihr so nebensächlich ich nur konnte. »Euren schönen Besitz müsst ihr jemandem vererben, der euch dafür dankbar ist.«
    »Und wer soll das sein?«, wollte sie wissen.
    »Der Verfall«, sagte ich. »So manches an irdischen Gütern vermischt sich mit den Toten unter der Erde«, sagte ich. Es gelang mir, sie damit zum Schweigen zu bringen, aber offenbar auch gänzlich zu erheitern, denn auf einmal verkündete sie, dass wir am Abend bei einer wohlhabenden ungarischen Familie zu Gast sein würden, die eine schöne Tochter, ein Einzelkind hätten, und wenn sich die Funken zwischen uns entzünden ließen, dann könne man da schon etwas ausrichten, sagte sie. Ich fragte meine Tante, ob die Einladung in irgendeinem Zusammenhang mit ihrem Beruf stehe. Und sie sagte: »Ein bisschen verbunden ist alles mit allem.«
    Ich hatte nicht erwartet, dass auch ich in ihre Machenschaften verwickelt werden konnte. Zum einen hatte ich nie etwas in dieser Richtung angedeutet und zum anderen auch nicht einmal im Traum ans Heiraten gedacht. Ich war weit davon entfernt, eine Familie zu gründen, Kinder und ein Haus zu haben, ich sagte meiner Tante sogar, ich sei schon verheiratet, und zwar mit der Literatur, und da ich das schon sei, brauche ich sonst niemanden mehr. Aber ich fürchte, da habe ich mir selbst etwas vorgemacht, weil ich, wie alle anderen auch, darauf wartete, dass mein Leben sich verwandelte und in eine andere Spur kam. Und manchmal hegte ich die Hoffnung, dass diese Verwandlung durch die Liebe möglich sein würde. Tante Pava hatte genau begriffen, dass ich kein Glück mit den Frauen hatte, und dann fing sie an, mir Vorträge darüber zu halten, dass zu zweit alles erträglicher sei, vor allem, sagte sie, »wenn die Braut hübsch und wohlhabend ist«. Meine Tante wiederholte oft unter dem beipflichtenden Nicken ihres Mannes, dass die Armut der schlimmste aller Makel war. Wie konnte man einem solchen Unsinn widersprechen?
    Als wir am Abend das schöne und prachtvolle ungarische Haus betraten, konnte ich meine Tante in Aktion erleben, deshalb beobachtete ich vor allem sie die ganze Zeit über, sah mir ihre ganzen Finessen an, staunte über die Art, wie sie diese einfachen Menschen um den Finger wickelte. Es waren Ackerbauern, die nur dann auflebten, wenn die Rede auf die Ernte oder auf Reichtum kam. Ehemann Tibor erzählte, dass ihm alles kaputt gehen würde, wenn der Staat sich nicht endlich um die Bewässerung kümmere. »Man kann aus fruchtbarem Land in null Komma nichts eine dürre Ebene machen«, sagte er. Der Mann war klein und um die fünfzig Jahre alt, er hatte kurz geschnittenes Haar, eine Narbe im Gesicht, die sich von der Schläfe bis zum Kinn zog, als sei an dieser Stelle das Schwert in der Luft stehen geblieben, aber bevor ich weiterrätselte, erzählte er selbst die Geschichte von der Narbe, die er seit seinem zwanzigsten Lebensjahr hatte. Ein Pferd hatte ihm einen Schlag mit dem Huf verpasst, und sein Gesicht war wie eine Melone zersprungen. Die Frau sprach wenig, versteckte aber immer ihre Hände, sie waren schwarz von der Erde und aufgeplatzt von der Arbeit auf den Feldern. Meine Tante schmeichelte sich bei dieser Frau ein, überschlug sich förmlich vor Freundlichkeit, wackelte mit ihrem Zopf hin und her, und ich verstand, dass auch in diesem Haus die Frau das letzte Wort hatte. Das betonte meine Tante dann auch mehrmals, indem sie irgendeine Redensart von sich gab, nach der es hieß, ein Haus ohne eine Frau sei eben kein Haus. Mit milder Stimme säuselte sie auf die Frau ein. »Ach meine Marta, meine liebe Marta, ohne uns Frauen gäbe es gar keine Männer, aber die Nichtsnutze sind uns alles andere als dankbar.«
    Ich war völlig uninteressant für die Runde, es war klar, dass ich Pavas Neffe war, und das reichte offenbar aus. Die beiden Bauersleute fragten nicht einmal nach meinem Namen. Ich saß in einem bequemen großen Sessel und fühlte mich glücklich, es gefiel mir, am Ofen zu sitzen. Meine Tante versuchte, mir Zeichen zu geben, dass ich irgendetwas von mir geben sollte, aber ich zog es vor zu schweigen und unternahm keinerlei Versuch, etwas zu sagen, weil ich Angst hatte, meine verrückte Tante würde in

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