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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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von ihrem Gewerbe hielt, sagte, was ich hinter ihrem krankhaften, ja perversen Bedürfnis sah, andere Menschen ständig zusammenbringen zu wollen, und dass sie mit der gleichen Leidenschaft auch eine durchschnittliche Kupplerin geworden wäre. Das Glück anderer zu beeinflussen, dahinter verberge sich doch der Wunsch, es auch zu unterwandern. Atemlos redete ich weiter und sagte, die Tante sei auf der Flucht vor sich selbst, vor dem, was sich in ihr selbst an Heimatlosigkeit und Trauer verberge, sie trage mit alledem nur sich selbst Rechnung, ihrem eigenen inneren Hunger, ihrer Leere und Langeweile und schiebe nur ihre edelmütigen Taten vor ihre geschickt konstruierte Fassade, die natürlich vor ihren guten Taten immer fest bestehen bleibe. Nicht nur dass sie meine Worte nicht störten, sie gefielen ihr sogar, vielleicht auch, weil sie meine Aufrichtigkeit und meine Sprache als fein und gewählt empfand. Schließlich protestierte mein Onkel und sagte, ich sollte meinen Rotz beisammenhalten, denn hinter seiner Frau stünde kein leeres Gerede, sondern unverrückbare Taten, Ehen, Familien, Geburten, all das, was einen Sinn im Leben erschaffe. »Die Leere deines Gehirns, mein junger Herr, ist nichts anderes als deine Unhöflichkeit, denn du hast hier den ganzen Abend in einem gastfreundlichen Haus verbracht, in dem man dir Nahrung und ein Bett gegeben hat. Zieh dich an und mach, dass du wegkommst!« Onkel Aco Malesev war außer sich.
    Was hätte ich tun können, außer reumütig zu sein und zu schweigen, ich verließ das Zimmer und legte mich ins Bett. Am nächsten Morgen weckten sie mich in der Frühe, die Sonne schien schon. Ich war so müde, dass ich es kaum bis zur Brunnenpumpe schaffte, ich wusch mir dort mein Gesicht und wurde nur langsam wach. Meine Tante war dabei zu verreisen, zu einer Hochzeit, hieß es, und der blinde Bürstenfabrikant musste zur Arbeit. Auf meine Bitte hin, mir Geld für die Fahrkarte zu leihen, stellten sie sich beide taub, es war aber eigentlich auch keine Bitte gewesen, mehr ein hilfloses Flehen, denn ich war im Grunde kurz davor, in Tränen auszubrechen, ich war ohnehin gedemütigt worden, und sie warfen mich in der Frühe auch noch aus ihrem Haus, direkt in die Arme der dörflichen Idylle hinein. Die Gänse wackelten gackernd auf der Trift hin und her, entfernten sich wie eine weiße Wolke, die man vom Himmel heruntergelassen hatte, und verschwanden dann in Richtung der Weide und des Graslandes. Ich fühlte mich wie ein Krieger in jener traurigen Banater Gegend, die die Banater selbst Sibirien nennen.

60
     
    Wer hätte sich vorstellen können, dass ich auf der Flucht vor Eva ausgerechnet in Evas Armen landen würde? Oder dass ich aus der verhassten Provinz einfach nicht wegkäme und noch Monate dort gefangen bleiben sollte? Wie gerne würde ich all das vergessen, nur weiß ich nicht, wie mir das gelingen kann. Ich weiß nicht mehr, ob es ein Trost war, ein seelisches Bedürfnis, ein Gefühl von Rettung oder irgendein anderes teuflisches Versprechen, aber es passierte genau das, was ich nicht wollte und vor dem ich auf der Flucht war. So etwas ist mir später immer wieder geschehen. Das Unerwünschte hat sich in meinem Leben und in meiner Biografie selbsttätig vermehrt. Ich bin unzählige Male schwach geworden. Dabei sind mir viele Fehler unterlaufen und ich habe einige Menschen verletzt. Dennoch glaube ich, dass ich im Laufe meines Lebens keinem anderen Wesen so sehr geschadet habe wie mir selbst. Jetzt lässt sich weder etwas daran ändern noch zurechtrücken. Dieses Manuskript kommt langsam zu seinem Ende und das, was ich noch zu erzählen habe, hat mit dem leidlichen Abenteuer meiner Verlobung zu tun. Es sind nur noch ein paar Pinselstriche, zwei, drei Fensterchen, die ich noch öffnen muss; ich bin es leid, andere Versionen der Wahrheit zu liefern und der Haarspalterei zu verfallen.
    Da ich kein Geld hatte, um nach Belgrad zu fahren, und die einzigen Leute, die ich in Klek kennengelernt hatte, Eva und ihre Eltern waren, klopfte ich an jenem frühen Morgen an ihre Tür. Ich wollte mir Geld von ihnen borgen und die goldene Omega -Uhr als Pfand dalassen. Im Haus fand ich nur Eva vor. Bis auf die Sonntage arbeiteten ihre Eltern tagein, tagaus von Sonnenaufgang an und waren draußen auf den Feldern. Eva empfing mich wie einen Liebhaber, sie benahm sich verführerisch und war das Gegenteil ihrer gestern noch zelebrierten Ablehnung, die sie mir mehr als deutlich gezeigt hatte. Sie war

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