Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
zur vollen Entfaltung bringen. Sie war der ideale Maestro, permanent zog sie an den Schicksalsfäden der anderen Menschen und bekam so in diesem Teil des Banats einen passablen Ruf als Heiratsvermittlerin. Sie reiste in die umliegenden Orte, suchte nach Heiratsbedürftigen und Heiratswilligen, die sie dann miteinander verkuppelte. Sie brachte unterschiedlichste Schicksale zusammen, überzeugt von ihrer eigenen Mission und ihrem Edelmut. Sie fühlte sich wie eine Schöpferin, die Leben hervorbrachte; die Frau, die selbst keine Kinder zur Welt bringen konnte, verschaffte sich über den Umweg zu ihren Klienten ihren Nachwuchs.
Meine Tante trug an ihrem rechten Arm eine Männerarmbanduhr und am linken ein Armband in der Form einer Schlange. Das waren Dinge von Leuten, die ihr eine Ehe verdankten. Sie hatte eine ganze Kollektion solcher Geschenke. Darunter war auch eine silberne Tabakdose, die sie immer in ihrer Tasche trug, weil sie sich Zigaretten drehte, die sie mit der Zunge ableckte und dann »wie ein Türke« rauchte, so formulierte sie es selbst, obwohl sie beim Rauchen immer über das Rauchen schimpfte, und während sie schimpfte, kam sie sichtlich auf noch größeren Genuss dieser Leidenschaft, die bei genauer Betrachtung nichts anderes als reine Abhängigkeit war. Bevor sie die Zigarette anzündete, philosophierte sie herum und sagte, sie würde jedem, der ihr lieb sei, davon abraten, jemals mit dieser Selbstvergiftung auch nur anzufangen. Meine Tante brüstete sich mit ihrer neuen beruflichen Tätigkeit. Sie führte sorgsam Buch über die Verheirateten und gab damit an, dass sich noch keiner ihrer glücklich Vermittelten habe scheiden lassen, nur eine Ausreißerin habe es mal gegeben, aber die sei sehr schnell wieder zu ihrer Familie zurückgekommen.
Meine Tante brachte Bauchspeck und Schwarten ins Esszimmer. Ich aß davon viel und genüsslich, die beiden gingen kurz in den Flur und tuschelten eine Weile vor sich hin. Als sie wieder hereinkamen, stellten sie sich beide hinter mich. Die Tante streichelte mich, während der Blinde mit seinen Fingerkuppen mein Gesicht abtastete. Beide waren sich darin einig, dass ich zu dünn und zu schmächtig war und dass ich etwas zunehmen musste. Meine Tante schenkte mir ein Hemd, das an den Ärmeln mit Spitze und vorne mit einer Stickerei versehen war; vielleicht war das Hemd sogar Bestandteil einer der vielen Folklorekostüme für Frauen, die es in der Banater Gegend in den unterschiedlichsten Minderheiten gab. »Das ist ein teures Hemd, ein Paar, das ich verheiratet habe, hat es mir geschenkt«, sagte meine Tante Pava.
Ich zog meinen abgetragenen und ausgeblichenen Kapuzenpullover mit den langen Ärmeln aus und zog das mit Spitze versehene Hemd aus feinem, weichem Leinen an. Es passte mir perfekt, so als sei es nach Maß für mich geschneidert worden. Tante hatte im Schrank an die fünfzig Paar getragene und ungetragene Männerschuhe verschiedener Größen, ein Paar passte mir und ich zog meine alten Schuhe aus, die ich mir auf dem Flohmarkt gekauft hatte und die schon durchlöchert waren. Ich schlüpfte in die neuen schönen Mokassins, sie waren zwar schon getragen worden, aber sie waren sehr bequem. Dann fing sie an, mich zu überreden, dass ich wenigstens einen Monat bei ihnen bleiben sollte. Sie versuchte, mich mit Geschichten über dieses kleine Banater Dörfchen zu locken, das ihrer Meinung nach gerade jetzt in seiner Blüte stand. Dann begann sie mehrmals von einem bevorstehenden Ereignis zu sprechen, einer großen Feier, die offenbar noch ein Geheimnis war und im Zusammenhang mit dem örtlichen Handballclub stand. Ihre Euphorie erschien mir sehr rätselhaft. Glaubte sie wirklich daran, dass diesem Banater Dorf, in dem der Schlamm das Hauptereignis vor allem für die Schweine war, eine große Zukunft bevorstand? Oder hatte sie die ganze Zeit etwas anderes vor, etwas, bei dem sie wieder ihre Manipulationskraft unter Beweis stellen konnte? Und am wenigsten verstand ich, was ich eigentlich mit alledem zu tun hatte, warum sie mir schmeichelte. Plötzlich hatte sie unsere Verwandtschaft entdeckt, ich war mit einem Mal ihr Vetter und damit ihr großer Liebling.
Aco ging früh zur Arbeit, er nahm den Morgenzug oder den Arbeiterautobus bis zur Ölfabrik, und von dort ging er mit seinem weißen Blindenstab zu Fuß bis zu seinem Arbeitsplatz, er trippelte dabei versiert und schnell, als dirigiere er ein Musikstück. Wenn er weg war, legte sich meine Tante noch einmal für
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