Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
ein, zwei Stunden ins Bett, dann stand sie auf und blieb ewig in ihrem Frisiermantel, die meiste Zeit über trug sie ihn aufgeknöpft und man sah unter ihrer engen durchsichtigen Wäsche ihre gequetschten wuchtigen Brüste und den vor Fett berstenden Bauch hervorquellen. Ihre Haare waren fettig und sie hatte Schuppen, sie war nicht nur nachlässig, sondern im eigentlichen Sinne verwahrlost. Und in diesem Aufzug hatte sie sich angewöhnt, immer wieder mal in mein Zimmer zu kommen. Sie setzte sich ans Bettende, quasselte Gott weiß was zusammen und kratzte sich dabei die Schuppen vom Kopf, die Ausdünstungen ihres Körpers widerten mich an, ich erstickte fast und fühlte Übelkeit in mir aufsteigen. An einem Morgen brachte sie mir ein Heft und Stifte. »Schreib mal alles auf, was dir so durch den Kopf geht«, sagte sie und übergab mir dann feierlich ein kostbares Geschenk. Es war eine goldene Armbanduhr von Omega . Ich konnte es nicht glauben, dass diese Frau, die ich als eine bösartige Person erlebt hatte, mir ein so kostbares Geschenk machte, auf eine Weise, als horte sie irgendwo einen ganzen Berg voller Omega -Uhren und als bedeute ihr diese eine herzlich wenig.
»Das schenkt dir deine Tante, damit du sie nicht vergisst, wenn du eines Tages berühmt wirst«, sagte sie.
Ich konnte sie nicht durchschauen. Noch etwas Gutes tat sie für mich – sie schickte ein Paket an meine Eltern nach N. Vor meinen Augen füllte sie den Karton, aber nicht ohne dabei unablässig zu betonen, dass es ein großzügiges Geschenk sei – »und was«, sagte sie, »haben die beiden jemals für mich getan!?« Erst legte sie ein paar verschieden große Bürsten rein, eine größere für Malerarbeiten, die sie als Pinsel bezeichnete, danach noch zwei kleine Besen mit kurzem Stiel. Darauf legte sie ordentlich gefaltete Bettwäsche und schippte schließlich eine ganze Menge Bohnen in den Karton, damit sie eine passable Unterlage für die Lebensmittel hatte, Speck, geräucherte Schweineohren und -füße, ein Eimerchen Schweinefett und zwei Flaschen Früchteschnaps (Birne und Quitte), die in der Landwirtschaftlichen Genossenschaft in Subotica abgefüllt worden waren, aus der später das Kombinat Agros hervorgegangen ist. Sie schrieb ihnen nicht eine einzige Zeile, nicht einen kleinen Gruß. Und mir erlaubte sie auch nicht, dass ich ihrem Paket einen Brief für meine Eltern beilegte. »Das hier mache ich nur wegen dir, nicht wegen ihnen«, sagte sie.
Wir trugen das Paket zur Post, die Adresse kam drauf, ein Stempel folgte; der Absender war Aco Malesev, aber es stand nicht die Wohnadresse drauf, sondern, wie es hieß, seine Arbeitsanschrift in Zrenjanin, die aber wahrscheinlich reine Fiktion war. Sie habe es nicht gerne, ihre persönlichen Angaben preiszugeben, möge keinerlei Spuren legen, die man später nachprüfen könne, aber nicht etwa deshalb, weil sie Angst vor unerwünschtem Besuch habe; die Leute, die kommen wollten, fänden schon irgendwie ihre richtige Adresse heraus. Sie sei vielmehr davon überzeugt, dass ausgeschriebene Namen und Adressen eine Art unausgesprochene Einladung waren, und in ihrem Beruf sei es einfach ratsam, mehrere Namen und viele Gesichter zu haben. »So wie jeder Mensch Kleidung hat, so muss er auch ein geheimes Leben haben«, sagte sie.
59
Ich hatte nur ein, zwei Tage in Klek bleiben wollen, es war nicht schwer, meine Erinnerungen aufzufrischen. Ich besuchte alle Orte, an denen ich mit den Gänsen zur Trift gegangen war. Aber ich blieb länger, als ich es geplant hatte, und der Grund dafür war so verrückt, dass man ihn sich niemals ausdenken könnte. Meine Tante hatte mich gekauft. Ich konnte nicht einfach eine goldene Armbanduhr annehmen und am nächsten Tag abhauen, selbst dann nicht, wenn ich eine eigene Bleibe in Belgrad und auch sonst ein genaues Ziel vor Augen gehabt hätte. Die letzten Wochen in der Stadt hatte ich bei einem Freund im Studentenwohnheim verbracht, war nicht einmal gemeldet, weil ich aus dem Loch, in dem ich wohnte, rausgeschmissen worden war; die Schwestern Dimitrijević kündigten mir diese Hundehütte, weil ich ihnen zwei Monate lang die Miete schuldig geblieben war.
Einmal fing meine Tante morgens im Speisezimmer beim Frühstück an zu weinen, weil die Erkenntnis, dass das Leben ohne Kinder überhaupt keinen Sinn machte, sie zutiefst erschütterte. »Wir sind zwei Blinde, die sich einen Schmerz nach dem anderen zufügen, während sie gemeinsam auf ihre Todesstunde warten.«
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