Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
kleinen abergläubischen Tendenzen für immer auf.
Die Feder hat mich oft an meine Tante und das kleiner Banater Dorf erinnert. Ich plante mehrmals, es wieder aufzusuchen, obwohl ich mich dort während meines einjährigen Aufenthalts nicht einmal ein bisschen glücklich gefühlt habe; im Gegenteil, ich erfuhr eine Demütigung nach der anderen, aber das hielt mich keineswegs davon ab, manchmal in der Erinnerung melancholisch zurückzureisen und jene schweren Zeiten meines Lebens mit der Frage zu umkreisen, ob es denn je leichte Zeiten für mich gegeben hatte. Ich dachte sogar oft an meinen blinden Onkel zurück, nun mit sehr viel mehr Humor, als es mir damals möglich war; auch der Vorfall mit der Gans kam mir nicht mehr so gespenstisch vor, weil ich später ganz andere Grausamkeiten zu Gesicht bekommen habe, Menschen etwa, die sich Schmerzen zufügten und dabei von einem Liebesakt sprachen. Dagegen war die Gansszene geradezu ein Bild der Zärtlichkeit, so pervers sie auch war, so sehr übertraf das andere alles, was ich mir unter Grausamkeit vorstellen konnte, aber das heißt nicht, dass ich meinen Onkel nicht verabscheue für das, was er getan hat, im Gegenteil, mein Magen ist dafür nicht gemacht, und ich kann es nicht ausstehen, wenn irgendeine Art von Gewalt im Spiel ist, selbst dann nicht, wenn sie sich nur gegen eine Gans richtet.
Eines Tages, als ich zwanzig Jahre alt war, habe ich die beiden Sonderlinge dann doch noch besucht. Als ich in der Nähe ihres Hauses und ihrer Ländereien aus dem Zug sprang, nahm ich nicht gleich den direkten Weg zu ihnen, sah aber schon aus der Ferne, dass die Fassade ihres Hauses heruntergekommen und bröckelig war. Ich blieb kurz stehen, um mir die Veränderungen anzusehen. Mich fröstelte es ein wenig vor der Begegnung mit meiner Tante, weil ich sie als eine ganz und gar unberechenbare Person kannte. Ich wusste, dass die Möglichkeit bestand, von ihr abgewiesen zu werden. Es war denkbar, dass sie nach einer Bezahlung für die Übernachtung verlangte. Ich hatte Lust, vorher noch eine Runde mit meiner alten Schmalspurbahn von Zrenjanin nach Klek zu fahren und mich dabei an meinen ersten kleinen Dubrovniker Zug zu erinnern. Vor allem aber wollte ich auch Material für meinen Roman sammeln, mich hier emotional einschwingen und ein bisschen die Luft der »Bergleute in der Ebene« schnuppern. Ich war im Unterwegssein durch meine eigenen Labyrinthe und das, was man das Innere nennt, auf eine vielversprechende Goldgrube gestoßen, die ich so gar nicht nennen dürfte, man könnte es mir als Hochmut auslegen – der Roman, den ich im Kopf hatte, musste ja noch geschrieben werden. Ein paar Funken musste ich jedoch dabei schlagen und Umwege auf mich nehmen, sonst, wusste ich, würde es mir nicht möglich sein, dieses Buch zu schreiben. Meine Tante war natürlich in mürrischer Stimmung. Als sie aber hörte, dass ich schon zwanzig geworden war und Prosa in Literaturzeitschriften veröffentlicht hatte – und ich gab noch ein bisschen damit an, dass ich einen Textauftrag für den Reiseführer Belgrad in der Tasche hatte, in dem ich unsere Theater und Kinos vorstellen sollte –, wurde sie plötzlich ganz zutraulich und gastfreundlich, ließ unser Verwandtschaftsverhältnis an keiner passenden Stelle unerwähnt. Meine zeitweilige finanzielle Misere kommentierte sie abwinkend. »Lass uns nicht über diesen irdischen Kleinkram reden, für uns sind das doch Bagatellen«, sagte mein Onkel Aco, um seiner Frau eine Stütze zu sein.
Ich fand die beiden nahezu genauso vor, wie ich sie verlassen hatte, sie saßen im Speisezimmer am runden Tisch, ich hatte das Gefühl, dass sie sogar die gleiche Kleidung trugen wie damals, nur ein paar kleine Details verwiesen auf einen gestiegenen Lebensstandard; jetzt stand auf einer schönen Empire-Kommode ein Radioapparat, der mit einem mit Spitze umrandeten Tuch bedeckt war, meine Tante benutzte für diese wertvolle Handarbeit das altmodische Wort sustikla . Sobald wir ins Gespräch gekommen waren, begriff ich, dass einiges neu war; mein Onkel hatte eine Arbeit in der Fabrik in Zrenjanin für Bürsten und Besen gefunden, und meine Tante hatte eine Arbeit für ihre Seele gefunden; ich war mir nicht darüber im Klaren, ob ihr Vergnügen daran nur scheinbarer Natur war und ob sie davon irgendeinen praktischen Nutzen hatte, aber eines war klar, als Heiratsvermittlerin hatte sie gleichsam den Sinn ihres Lebens gefunden und konnte ihre manipulatorischen Fähigkeiten
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