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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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Freundschaft und Verwandtschaft recht, aber er wich einfach nicht von meiner Seite und hörte nicht auf, mit mir zu reden. Seinem endlosen Redeschwall entnahm ich an einer Stelle, dass er allem unduldsam gegenüberstand, das nicht eng mit seiner eigenen Nationalität und Sprache verknüpft war. Wir kamen schlendernd zu den Pferdeverkäufern, gingen ein Stückchen allein, unsere Frauen warteten in der Reihe bei einem Würstelstand, weil wir allesamt Lust auf Essigwurst hatten. In der Zwischenzeit wollten wir uns den Pferdemarkt ansehen, weil der Jungvermählte sich ein Pferd, vielleicht aber auch nur ein Fohlen kaufen wollte. Er hatte die Theorie, dass es unmöglich war, sich ohne ein Pferd niederzulassen. Bei den Verkäufern erkundigte er sich mal bissig, mal im ironischen Tonfall über die Rassen und wollte Näheres über die Stuten und Hengste wissen. Er wurde hin und wieder kränkend, sein Humor war gänzlich unelegant und ungeschliffen, und er bekam deshalb auf keine einzige Frage eine Antwort. Ich war dabei und sah, dass die Pferdehändler ihn einfach nicht beachteten, mit den Schultern zuckten, als verstünden sie seine Sprache nicht. Und als wir diesen schlammdurchsetzten Teil des Marktes verließen und zu unseren Ungarinnen zurückgingen, blieb er auf einmal stehen, packte mich am Ellenbogen und sagte verbittert: »Hast du das gesehen, sie sprechen alle unsere Sprache, aber sie wollen sich einfach nicht mit uns unterhalten, weil sie uns hassen.«
    Ich befreite mich aus seiner Umklammerung und beschleunigte den Schritt. Noch nie konnte ich Leute leiden, die einen einfach anpacken, wenn sie einem etwas erzählen, oder die ihre Hand auf meine Schulter legen, wenn sie sich vorbereiten, mir etwas mitzuteilen. Dann ging ich einfach von ihm weg. Die Frauen kamen uns schon entgegen. Sie hatten die gebratenen Würste und mit Ajvar bestrichenes Brot dabei, dazu ein paar Servietten. Eva hängte sich an meinen Hals und sprach ständig verzärtelt meinen neuen Namen aus. Sie wollte sogar, dass ich ihr aus der Hand esse. Sie sagte noch zweimal den Namen Attila, mein Landsmann zeigte sich darüber verwundert und verzog das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse. Er sah mich entsetzt und angewidert an, enttäuscht sagte er: »Du hast ja deine Seele verkauft, sogar ihren Namen hast du angenommen.«
    Ich habe ihm nichts geantwortet, aber der Ausdruck »verkaufte Seele« hat mich noch lange Zeit danach geplagt. Es war falsch, was er sagte, und dennoch nagte es an mir. Viele dieser Menschen, die mir so etwas ins Gesicht pfefferten, waren selbst auf irgendeine Art und Weise dem Leben etwas schuldig geblieben. Manche von ihnen machten auf mich den Eindruck, als büßten sie gerade eine schlimme Strafe ab. Aber auf Rache war ich nicht aus. Nur bekam der Besserwisser neben mir dennoch auf die Sekunde genau seine Rechnung serviert. Als er in die Wurst biss, spritzte sie nur so vor Fett, sein weißes Hemd war ruiniert. Und jetzt schreibe ich darüber, als sei jener Augenblick für immer vorbei. Aber die Erinnerung ist gegenwärtig, weil sie aus Episoden besteht. So funktioniert sie, obwohl sie abgeschlossen ist, eröffnet ein einziger Schauplatz einem endlosen Reigen einen anderen neuen Schauplatz.

61
     
    Der neue Name hat uns auch nicht geholfen. Aber nicht einmal der richtige König der Hunnen, Attila, die Geißel Gottes, hätte uns helfen können. Alles ging kaputt, fiel schnell auseinander, und was uns bis gestern noch etwas bedeutet hatte, wurde auf einmal nichtig für uns. In den ersten beiden Monaten konnten wir die eine oder andere Ungereimtheit aus der Welt schaffen und uns trotz unserer Differenzen immer wieder aussöhnen. Für unser Liebesleben war das gut, aber davon blieb schon bald überhaupt nichts mehr übrig, nicht einmal von Routine konnten wir noch sprechen. Ihre Eltern redeten nicht mehr mit mir, Tibor drehte den Kopf weg, wenn er mich sah, oder schaute mich so streng er nur konnte an. Einmal tippte er sich mit dem Finger an die Gurgel, was wohl heißen sollte, dass mein letztes Stündlein geschlagen hatte. Wir aßen nicht mehr gemeinsam, sie fingen an, Essen vor mir zu verstecken, und irgendwann verschlossen sie auch das Haus. Eva fand eine Arbeit und blieb bis abends weg, sie war die einzige Krankenschwester im gerade eröffneten Haus der Gesundheit. Und ich blieb im Bett und verbrachte dort den ganzen Tag. Evas Mutter stellte mir hin und wieder einen Topf vor die Tür und manchmal aß ich eine ganze Woche lang

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