Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Arbeit, aber niemand bedrängte mich, hier irgendetwas zu tun, jetzt war ich kein Knecht wie einst bei meiner Tante, ich war der Prinz, wie es Eva in ihrer närrischen Art ausgedrückt hatte. Ich wusste am besten, was für ein Prinz ich eigentlich war, wer ich war und was ich wollte. Damals habe ich immer das Gedicht von Tin Ujević zum Besten gegeben und mich als eine »Blume ohne Wurzeln« beschrieben, die weder fürs Hiesige noch fürs Jenseitige gemacht sei. Das war im Übrigen auch der Titel meiner neuen Prosa-Arbeit, die ich damals im neuen Haus zu schreiben begann. Aber das damalige Notizheft ist verschwunden, nur noch ein paar Dinge, die ich damals schrieb, die eine oder andere Metapher zum Beispiel, sind mir noch in Erinnerung geblieben. Wenn ich das Heft gerettet hätte, würde ich sicher jetzt hineinsehen, denn es wäre heute der greifbare Beweis für jene schreckliche Zeit, die mir noch heute so zusetzt. Wenn ich an Damals denke, habe ich das Gefühl, jemand versuche mich zu erwürgen. Dabei ist alles schon so lange her, eine halbe Ewigkeit ist seitdem vergangen.
Die meiste Zeit verbrachte ich faulenzend. Im Garten baute ich mir eine Hängematte aus Stroh, ich brachte sie zwischen zwei Bäumen an und lag darin dösend oder lesend. Die Bücher lieh ich mir in der Stadtbücherei von Zrenjanin aus, es gab aber auch im Haus der Kultur einen großen Lesesaal mit einigen hundert Büchern in Glasvitrinen. Onkel Aco Malesev hatte auf seinem Dachboden einige Werke der russischen Klassiker herumliegen, aber über die Schwelle seines Hauses bin ich nie wieder getreten. Meine Tante mied ich wie eine Hexe. Einmal bin ich ihr im Genossenschaftsladen begegnet und sofort zeigte ich ihr die Hörner. Ich bildete eine Faust, ließ den Zeigefinger und den kleinen Finger abstehen, so wie wir das auch schon in der Kindheit gemacht hatten, und das war seit jeher unsere Art, uns vor Beschwörungen und dem bösen Blick zu schützen. Ich sprach laut und deutlich das Wort corno aus. Meine Tante wusste ganz genau, was es bedeutete, sie zischte mich wütend an, sodass mir ihre Spucke ins Gesicht flog.
»Du zeigst mir die Hörner und trägst an deinem Arm meine Uhr?!«
Später habe ich es bereut, dass ich ihr die Uhr nicht vor die Füße geworfen habe, dann hätte sie sich bücken und die Einzelstücke zusammensuchen müssen. Ich wäre damit endlich aus meiner Lähmung erwacht, hätte Größe gezeigt, wenn ich in diesem Moment schwach geworden wäre und mich auf ihr Niveau hätte hinabbegeben und auf die wertvolle Uhr verzichten können. Aber was sollte ich tun, wie immer, war es mir auch jetzt unmöglich, jemanden zu erniedrigen, selbst wenn es um meine Feinde ging. Vielleicht hat das Schicksal mich aber auf diese Weise geschont, vielleicht hat durch ihn der gleiche Fadenzieher gesprochen, der auch Erzähler durch ihre Geschichten leitet und der damals Angst um mich hatte, Angst, die Zeit anzuhalten, in der sich meine Geschichte wie alle Geschichten erst einmal entfalten musste. Ihre Glaubwürdigkeit stand auf dem Spiel. Nein, hatte der Fadenzieher gesagt, nein, schmeiß die Uhr nicht auf den Boden, bring’ mir meine Geschichte nicht durcheinander, sei geduldig, das wohlverdiente Finale ist bald erreicht.
Es ging nicht alles glatt in Tibors Heim. Mit Eva war es auch nicht so fröhlich wie am Anfang. Eigentlich hatten wir nur einen Monat lang so etwas wie unsere Verlobungsflitterwochen. Der Ehrlichkeit halber muss ich sagen, dass mir niemand im Haus Vorwürfe machte, wenn ich meine Tage faulenzend und in der Schaukel lesend verbrachte. Sie hielten mir keine Vorträge, redeten überhaupt recht wenig mit mir, denn untereinander sprachen sie ohnehin immer nur Ungarisch. Wenn ich mich einschaltete und fragte, von was gerade die Rede war, sagten sie in aller Seelenruhe, »lern ein bisschen Ungarisch, deine Krone fällt dir schon nicht vom Kopf, wenn du dich ein wenig bemühst«. Später war es mir egal, worüber sie sprachen, mir waren ihre Auseinandersetzungen am Tisch oder auf der Holzbank vor dem Haus irgendwann gleichgültig geworden. Tibor wunderte sich, dass ich gar nicht mehr nachfragte, und wenn er sprach, sah er in meine Richtung, als erwarte er, dass ich mich doch noch neugierig einschaltete. Aber ich dachte überhaupt nicht mehr daran, nur einmal, als die Frauen den Tisch deckten, bin ich auf- und abgegangen und habe mich über ihre Geschichten lustig gemacht, die von einer Sau und ihrem Wurf handelten. Mein böser Spott
Weitere Kostenlose Bücher