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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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sie aber erst vom Eisendraht befreien, mit dem das Schloss festgebunden war. Freundlich begrüßte ich alle Mitreisenden, sie wussten, wer ich war und wen ich besuchen wollte, sie waren höflich zu mir, überschlugen sich förmlich vor Komplimenten, die ich so lange nicht zu hören bekommen hatte. Eine ältere Frau saß still mit überkreuzten Armen und schlaffen Muskeln auf ihrem Sitz und sagte, meine Mutter sei eine ergebene Frau, sie habe es verdient, ein bisschen durchzuatmen, wenigstens an einem Sonntag. »Seit zwei Jahren weiß die Arme nicht mehr, was ein Ruhetag ist.«
    Der Fahrer tauchte auf, er kam aus dem Schlachthaus, an seinen Händen tropfte Blut herunter, weil er Ochsenleber und Ochsenherz bei sich trug. Er sprang in den Bus und warf sie in einen Eimer, der neben seinem Sitz stand. Als er mich bemerkte, begrüßte er mich und sagte ein paar nette Worte, als würde ich von nun an jeden Sonntag zum Sanatorium mitfahren. Während er sprach, wischte er sich mit einem Tuch das Blut von den Händen, ich überlegte mir genau, was ich ihm sagen wollte, ich versuchte, mich gewählt auszudrücken, und sah, dass die Leute das gerne hörten, dass es ihnen Freude machte, einem Erzähler zuzuhören; das war berührend und erhebend, es schien, als seien nun auch wir ganz schnell eine Schicksalsgemeinschaft geworden, die Reisenden schmeichelten mir, jeder von ihnen versuchte, mir etwas noch Schöneres zu sagen, und dann kam die Rede auf die Literatur und mein Talent; ich kann mich nicht erinnern, jemals vorher und nachher Freundlicheres über meine Arbeit gehört zu haben. Das hatte ich meiner Mutter zu verdanken. Sie war es, die fleißig an meinem Ruhm arbeitete.
    Zwei Metzger stiegen mit einem jungen Ochsen durch die Hintertür des Autobusses ein. Der Fahrer sprang ihnen entgegen, um zu helfen, der Ochse wurde an einem Gitter festgebunden und der Mitreisende, der den Eisendraht entfernt hatte, machte sich wieder ans Werk, ihn zu befestigen und die wackelige Tür anzubinden. Der Ochse brüllte, aber das störte uns nicht, keiner der Reisenden beklagte sich, alle wussten, dass dieses ansehnliche Tier eine Zeit lang auf der Wiese des Sanatoriums grasen, die Blätter von den Büschen äsen und bald schon dicker werden würde. Danach musste es zurück ins Schlachthaus und schließlich wieder ins Sanatorium. Zuletzt aber als Fleisch, das in der Küche für die Patienten zubereitet wurde. Es war schön zu wissen, dass auch mein Vater mit Genuss das Fleisch dieses Tieres als Gulasch essen würde, dem der Fahrer gerade noch liebkosend über den Schweif gefahren war.
    Der Bus fuhr auf der Straße neben dem kleinen Fluss los und kam schnell zu der Sandbank, die man im Sommer mit jedem beliebigen Fahrzeug überqueren konnte, weil das Wasser so niedrig war. Als Kinder waren wir immer mit den Fahrrädern über diese Stelle gefahren, unsere Lieblingszeit dafür war der Abend, nachdem wir ausdauernd bis nach Sonnenuntergang auf dem harten Rasen Fußball gespielt hatten, manchmal spielten wir dann noch auf der Straße weiter, im Widerschein der Lampen, bis spät in die Nacht. Hier hatte sich nichts verändert, was auch immer ich betrachtete, es war mir alles vertraut. Als wir das Flüsschen hinter uns gelassen hatten, fuhr der Bus weiter auf der Landstraße und stieß dann auf eine Schotterstraße; das war ein kleines ungeteertes Stück, das bald in die Hauptstraße überging, aber der Fahrer nahm nicht diesen Weg. Er fuhr einfach quer über den Rasen, auf dem nicht ein kleines Gräschen mehr zu sehen war, wir fuhren an Zigeunerzelten vorbei, sodass wir aus der Nähe kleine, noch verschlafene Kinder sehen konnten, die sich um die Zelte herumtrieben. Unser Autobus grüßte sie mit seiner Sirene, die sich durchdringend bemerkbar machte und eine schöne Zigeunerin im weißen Brautkleid nach draußen lockte. Sie lachte fröhlich und winkte uns, der Fahrer drehte sich um und sagte: »Heute wird hier eine große Zigeunerhochzeit abgehalten.«
    Der Reisende, der neben dem angebundenen Jungochsen stand, fing an, ein paar Weisheiten von sich zu geben, die Zigeuner, sagte er, hätten doch die gleichen Bedürfnisse wie wir. »Sie heiraten genauso wie wir, bringen Kinder zur Welt, sterben und reisen«, sagte er, aber niemand ging auf seine peinlichen Schlauheiten ein. Ich vertiefte mich mehr und mehr in die Landschaft, die mir einige Erinnerungen wieder hervorrief. Der Ochse brüllte, das erregte eine größere Aufmerksamkeit bei den Reisenden

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