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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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richtiges Ereignis, über das man bis zum nächsten Besuchstag reden konnte. Es schien, als würden sie einander auf unterschiedliche Art liebkosen, mit zärtlichen Blicken, mit der Güte, die sie wie etwas Kostbares in sich aufbewahrten, sammelten, um sie an diesem Tag jemandem zu schenken. Die Kranken aßen zusammen mit ihren Verwandten, und wenn schönes Wetter war, verwandelte sich die Besuchszeit in ein großes Picknick. Sie aßen im Schatten der Bäume, in den kleinen Wäldchen, verteilten sich um das Sanatorium, lagen faul auf ihren Decken im Gras, und wenn sie keine hatten, benutzten sie dafür einfach ihre Kleidung. Sie aßen ohne Besteck oder hatten nur ein kleines Messerchen zur Hand, getrunken wurde aus der Flasche. Jeder bot jedem etwas von seinem Essen an. Eine Stunde bevor der Bus wieder abfuhr, machte der Fahrer sich mit einer Sirene bemerkbar, das war das Zeichen für den baldigen Aufbruch und die Besucher fingen an, sich von ihren Angehörigen zu verabschieden und sich auf den Weg zu machen.
    Auf einer Fotografie, die meine Mutter an der Scheibe ihrer Glasvitrine angebracht hat, ist dieser Bus zu sehen, der eigentlich ein Filmrequisit war. Meine Eltern stehen vor ihm, meine Mutter trägt ein leichtes Sommerkleid, hat eine Tasche in ihrer Hand und mein Vater trägt einen Patientenmantel. Ich beugte mich nach vorne und sah mir die Fotografie an, während meine Mutter das Essen zubereitete, das ich meinem Vater bringen sollte. »Das ist der berüchtigte Bus?«, fragte ich sie. »Dieser Bus hat uns gerettet; wenn er irgendwann nicht mehr fährt, sollte man ihn ins Museum stellen«, sagte meine Mutter.
    Wir sprachen über Vater, der im Sanatorium ein paar neue Angewohnheiten entwickelt und andere über Bord geworfen hatte. Er vertraute den Medikamenten, zeigte sich von seiner disziplinierten Seite, er respektierte die Hausordnung. Meine Mutter sagte, er sei ein ganz anderer Mensch geworden, nichts an ihm verweise mehr auf die alte Zügellosigkeit, mit der er sich früher so gern schmückte. »Das Einzige, was noch immer Bestand hat – das ist ein kleiner Schnaps bei Vollmond und ein, zwei Zigaretten, immer dann, wenn er wieder Sehnsucht nach ein bisschen Husten bekommt«, sagte sie. Sie malte sich an diesem Morgen mit besonderer Freude meinen Besuch bei Vater aus, wollte aber nicht über die emotionale Bedeutung dieser Begegnung zwischen Vater und Sohn nach einer so langen Zeit sprechen und ließ sich weit und breit über nebensächliche Einzelheiten aus, schmunzelte bei der Vorstellung wie überrascht mein Vater sein würde, wenn er nur den Sohn zu Gesicht bekäme, aber die eigene Ehefrau stünde da nicht bei ihm, wie sie an den anderen Sonntagen immer bei ihm gestanden hatte. »Ach, was gäbe ich dafür, wenn ich mich irgendwo verstecken und die Ungläubigkeit in seinen Augen sehen könnte«, sagte sie. Nicht einmal wagte sie, das Wesentliche zu berühren – das Wiedersehen zweier Menschen, die sich fremd geworden waren, die verschlossen in ihren eigenen Welten lebten, jeder mit seinen eigenen »Schmerzen und Schatten«. Jetzt muss ich sagen, auch wenn es blasphemisch klingt, dass Mutters Essensrituale für meinen Vater im Grunde nebensächlich waren. Sie war eine ganz andere Person als die, die ich in meinem Gedächtnis in mir trug. Ich selbst hatte offenbar ein falsches Bild von ihr konserviert, hatte sie durch die Aureole einer scheinbaren Heiligen gesehen. Sie hatte in mir immer einen zeitlosen, sicheren Platz. Aber die paar Tage, die ich mit ihr zusammen verbrachte, änderten alles, ich hörte ihr eingehender zu, hörte, was genau sie sagte, und stellte fest, dass ihre Sprache unerträglich für mich geworden war.
    Dennoch regte sich in mir Mitgefühl für meine Mutter, als sie dabei war, ein Paket für Vater zu packen, und ihr ein tiefer Seufzer entfuhr. Ich sollte dem Kranken alles bringen, paniertes Kalbsfleisch, Gläser mit Honig und Hagebuttenkonfitüre, Krapfen, ein bisschen Speck, Saft von der Kornelkirsche. In einem fort atmete sie tief durch, die Gründe dafür waren wie immer gleichermaßen zahlreich wie unbekannt für mich. Vielleicht stellte sich meine bekümmerte Mutter, die ich in Gedanken meine Trauermutter nannte, so etwas wie ein gemeinsames Essen zu viert vor, wir alle, zusammen, an einem Tisch. Aber so sollte es nie mehr kommen. Vieles könnte ich zu Mutters Seufzern anmerken, sie haben sich tief in meine Seele geschnitten, aber das ist kein guter Moment. Die Gefühle könnten

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