Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
nicht verbissen und eisern an seiner traditionellen Welt festhielt, der immer bereit war, seine Ansichten zu überdenken. Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt mit dem Großeinkauf für unseren Gemischtwarenladen beschäftigt. In seiner üblichen Manier war er einfach verschwunden und erst nach Hause gekommen, als ich schon drei Wochen alt war. Die ersten Besucher waren alle vor ihm dagewesen, Verwandte und Freunde, so wie es der Brauch vorsah, hatten allesamt vorbeigeschaut und Geschenke gebracht. Vater hatte einmal mehr alles versäumt. Viele Jahre später haben wir erfahren, dass in Metković um die Zeit meiner Geburt ein anderes Kind gezeugt wurde – sein außereheliches Kind.
Großmutter Jelica erzählte mir, Mutter habe sich so sehr vor der Geburt geängstigt, dass sie immerfort zitterte. Seit der Kinderzeit ertrug sie keinen Schmerz, deshalb rief sie gleich bei den ersten Wehen den Taxifahrer an, der sie nach L. brachte, in jenes Haus, in dem auch sie geboren worden war. An die Tür des Gemischtwarenladens und der Wirtschaft hängte sie ein Schild. Mit Großbuchstaben hatte sie WEGEN NIEDERKUNFT GESCHLOSSEN darauf geschrieben. Mutter war abergläubisch, glaubte an alles Mögliche, sie hatte von älteren Frauen gehört, dass sich die Geburtswehen abkürzen lassen, wenn die Schwangere sich mit beiden Händen an einem Gewehr festhielt. Mein Großvater Tomo besaß ein Jagdgewehr, das immer an der Wand hing, und allein dieser Anblick beruhigte sie ein wenig.
»Hier bist du geboren worden«, sagte meine Großmutter Jelica Hunderte Male und zeigte auf die Stelle, an der es geschehen war. »Gleich nachdem du da warst, habe ich Blei geschmolzen und es über ein Kreuzlein gegossen, ich habe es in deine Wiege gelegt, damit es dich vor Verzauberung schützt, und das Messerchen, mit dem ich die Nabelschnur durchgeschnitten habe, steckt noch immer in einem der Hauptbalken, die das Dach tragen. Das Messerchen ist noch immer an Ort und Stelle und leistet gute Arbeit.«
In dieser Zeit hatte meine Mutter nicht genug Milch, aber Badema half ihr aus, rund einen Monat vor Mutters Niederkunft hatte sie Ende November einen Jungen zur Welt gebracht und war zuvor bereits Mutter dreier Töchter. Sie war eine gesunde junge Frau, ihr Vater, ein ansehnlicher Mann aus einer reichen Beg-Familie, war der Trauzeuge meines Großvaters. Sie stillte mich mehr als zwei Monate, und dann hatte Mutter selbst wieder Milch, nachdem Dr. Kesler sich um sie gekümmert hatte. Badema nannte mich Kurto, weil sie glaubte, dieser Name wirke sich abschreckend auf Krankheiten und Dämonen aus, noch heute werden solche Bauchnabel-Namen vergeben. Kurto war ich nur kurze Zeit, schon bei meiner Taufe gab mir mein Großvater Tomo mit dem Einverständnis meiner Eltern und meines Taufpaten den Namen jenes Neffen, der Maler in Paris war. Bademas Sohn Edo und ich waren ein Herz und eine Seele, nicht nur in der Kindheit, sondern auch später, wir trafen einander, nannten uns auch in Zagreb Milchbrüder, wo er Medizin studierte. Bis heute haben wir den Kontakt nicht verloren, wir schreiben uns manchmal, sehen uns aber selten, denn er lebt weit weg, auf der anderen Seite des Ozeans, wo er eine eigene Praxis als Psychiater unterhält.
Ein Bruder meines Großvaters hat auch Medizin studiert, allerdings in Moskau. Gearbeitet hat er dann in vielen montenegrinischen Orten, neben dieser Arbeit übersetzte er aber Bücher aus dem Russischen und schrieb selbst Gedichte. Der Maler, nach dem man mich benannt hatte, war sein Sohn und in unserer Familie sehr beliebt. Wir schmückten uns mit ihm und nannten ihn unseren »legendären Bohemien«, weil man in den Zeitungen so über seine Rückkehr aus Paris schrieb, bevor er nach Mostar zog.
Ich lernte ihn in Počitelj kennen, damals war ich sechsundzwanzig Jahre alt und hatte schon zwei Romane veröffentlicht. Er war von markanter Erscheinung, hochgewachsen, mit einer Löwenmähne, er wirkte in allem künstlerisch, war aber ordentlich gekleidet, nur ein paar bizarre Details fielen an ihm auf. Er trug handgemachte Schuhe, die er auf dem Jahrmarkt gekauft hatte, irgendwo in der Herzegowina, in einem der kleinen Städtchen. Ich erinnere mich sehr gut an dieses Treffen mit dem Maler, weil er mich an die Hand nahm und in eine Galerie führte, die voller Menschen war, und dann leise zu mir sagte: »Ich weiß ja nicht, was du schreibst, ich habe es nicht gelesen, werde auch nicht dazu kommen, verzeih mir, ich stecke noch bei Flaubert fest
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