Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
eine Kuh, die den Namen Goldmünze trug, weil sie in der Sonne so schön golden schimmerte. Manchmal, wenn ihr die Sonne auf den Rücken schien, sah es so aus, als stünde sie in Flammen. Ich glaubte damals, dass sich unsere Goldmünze von allen anderen Kühen unterschied, dass sie schöner als alle anderen Tiere war, sie war auch sehr reinlich, denn unter ihrem Schwanz war nie getrockneter Mist zu sehen und ihre Hinterbeine waren mehr als sauber. Wenn sie muhte, dann so leise, dass es zerbrechlich wirkte, aber wir hörten sie trotzdem immer und wussten auch, wo sie sich befand und auf welcher Wiese sie gerade im Gras lag. Wenn Großmutter oder ich nach ihr riefen, kam sie sogleich angerannt und wir belohnten sie mit Kleie. Am Ende leckte sie mir immer aus der Hand das Salz weg, das ich ihr so gerne hinhielt. Dieses Vergnügen überließ Großmutter immer mir, denn sie wusste, wie sehr ich den Augenblick liebte, in dem die große Kuhzunge meine Handflächen ausleckte. Ich konnte sie auch gut melken, das tat ich immer kniend, während meine Großmutter auf einem Dreihocker neben mir Platz nahm, auf dem sie so lange sitzen blieb, bis ich Goldmünze gemolken hatte. Wenn ich es melkte, sah das Tier immer wieder zu mir herunter, aber bei der Großmutter tat sie nichts dergleichen.
Ich liebte auch alle anderen Tiere, vor allem einen verrückten Hahn, der mit Schlangen kämpfte, doch an die Kuh Goldmünze kam keines von ihnen heran, sie war die Königin auf dem kleinen Hof, mit ihr konnte man richtig reden, sie verstand tatsächlich viel, deswegen legte ich mich häufig zu ihr auf die Wiese, wenn sie genießerisch auf dem Boden lag und mir mit den Augen zuzwinkerte. Das machte mich sehr glücklich. Diese Kuh schlug ich kein einziges Mal mit der Gerte, das war auch nicht nötig.
Im Sommer stand ich nie früh auf. Ich durfte die Ferien genießen, deshalb brachte meine Oma die Kuh in den frühen Morgenstunden, wenn der Tau noch zu sehen war, zum Hang, an dem kleine grüne Oasen im Geröll zu finden waren. Dort holte ich die Kuh dann später ab und brachte sie wieder in den Stall, aber auch nur, wenn sie sich zu weit entfernt und zum Weiden in die Höhle gegangen war und meine Rufe nicht hörte. Wenn sie sich hin und wieder verirrte und nicht reagierte, rannte ich panisch den Hang hinab, ich hatte Angst um sie, vor allem, wenn es schon bald dunkel wurde. Wenn ich auf heimkehrende Hirten traf, blieb ich stehen, fragte nach der Kuh, wollte wissen, wann sie unser Goldstück das letzte Mal gesehen hatten. Ich konnte das Wort Hirte noch nicht richtig aussprechen, und wenn ich es sagte, lief es ungefähr auf so etwas wie Herr Tee hinaus. Unter den Hirten waren auch einige unserer Verwandten, die alle in Lachen ausbrachen, wenn ich Herr Tee sagte, dann rannten sie in alle Windrichtungen fort, um die Kuh einzufangen, denn auch sie mochten dieses Tier sehr gerne.
Zu Hause nannte ich die Feuerstätte mit dem alten Wort Komin und dem Schornstein hatte ich den Namen Kominata verpasst. Ich konnte damit meine Urgroßmutter Petruša erheitern, und als sie noch am Leben war, versuchte sie oft, mich dazu zu bringen, diese Wörter auszusprechen, ich glaube, sie erinnerten sie an ihre Jugend. Aber sie selbst kannte auch einige ungewöhnliche Wörter, jedenfalls waren sie in der Welt, in die sie eingeheiratet hatte, tatsächlich ungewöhnlich. Wenn sie ein Gläschen Schnaps getrunken hatte, witzelte sie beispielsweise, verlangte dann nicht etwa ein weiteres Gläschen, sondern gleich ein Töpfchen Schnaps. Hausbewohner und Gäste lachten genüsslich über sie und stellten ihr dann als Antwort ein Holzscheit oder etwas ähnlich Unbrauchbares auf den Tisch, so als hätten sie ihre Bitte nach einem großen Schnapsgefäß nicht verstanden.
Die Welt der Wörter eröffnete sich mir auch, wenn mich meine Lehrerin stundenlang im Klassenzimmer festhielt. Sie gab mir ein Buch und sagte, ich könnte so lange bei ihr bleiben und lesen, wie ich wollte. Ich las gerne, aber immer sehr schnell, damals, als ich zwölf Jahre alt war, las ich ohne je innezuhalten. Auch die fremdesten Wörter kamen mir vertraut vor, ich bat auch nie um Hilfe, fragte auch nichts nach. Dann nahm mich eines Tages die Lehrerin mit in ihre Wohnung, die sich hinter der Schule befand. Ich kannte diese Wohnung sehr gut, sogar jeden Winkel ihres Schlafzimmers, das ansonsten immer abgeschlossen war. Im Winter brachte ich ihr immer einen Arm voller Holzscheite und legte sie in die Truhe
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