Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
… aber ich habe von dir gehört, als es diesen Tumult gab und es hieß, du hättest für den schlechten Ruf unserer Gegend gesorgt und unsere ruhmreichen Partisanen mit Dreck beschmutzt, deshalb will ich dir mal sagen, was ich glaube – dass du verdammt gut sein musst, wenn die Kommunisten so über dich herfallen. Mein Rat an dich ist – halt dich von ihnen fern, so gut du nur kannst, um keinen Preis der Welt darfst du mit ihnen unter einer Decke stecken! Und wenn dir jetzt irgendein Schuft hier aus der Menge auf die Pelle rückt und dich fragt, worüber wir gerade gesprochen haben, sag ihm, dass der alte Mistkerl von Maler sich damit gebrüstet hat, noch immer gut und gerne zu vögeln!«
Mein Verwandter lachte laut auf, in der Galerie war es still geworden. Als ich später bei einem meiner kurzen Besuche meiner Mutter davon erzählte, weinte sie und sagte, dass sie sterben werde, ohne ihn je wieder zu Gesicht bekommen zu haben.
Ich glaube nicht, dass das der richtige Grund für ihre Trauer war, es gab viele von uns, die sie nie wieder zu Gesicht bekam, und wenn sie wegen allem geweint hätte, wäre ihr Gesicht nie trocken geworden. Hinzu kam, dass der Maler sie eigentlich gar nicht kannte, er selbst sagte mir, er gebe nichts auf seine Verwandten, er vermeide es sogar, aus der Verwandtschaft einen Kult zu machen, er komme ja kaum mit sich selbst zurecht und könne sich selbst kaum leiden, deshalb wollte er den Kreis seiner Bekannten gar nicht erweitern, und mit den meisten seiner Verwandten hatte er überhaupt nichts gemeinsam. Meine Mutter weinte nicht wegen ihm, sie brachte mit ihren Tränen den Kummer zum Ausdruck, den ich ihr jedes Mal bereitete, wenn ich einmal mehr auf der Durchreise war, denn ich betonte immer gleich bei meiner Ankunft, dass ich nur eine Stunde bleiben würde.
21
Großmutter Jelica war sauber wie ein neues Buch. In den Schlafzimmern war ein angenehmer Duft. Den Wein und die Bäume, die auf dem Hof wuchsen, schnitt sie selbst zurecht, machte Käse, Butter vom Fass, kümmerte sich eigenhändig um die Herstellung von Honig, sie sammelte und trocknete Heilpflanzen, legte sie in kleine Schachteln und beschriftete sie einzeln. Man konnte ihr immer ein großes Geschenk machen, wenn man ihr eine schöne leere Schachtel mitbrachte, aber auch Behältnisse aus Glas oder Blech, in denen sonst Bonbons oder Plätzchen aufbewahrt wurden, sofort benutzte sie alles für ihre Kräuter und hatte für alles passende Teerezepte zur Hand. Außerdem notierte sie immer auf die Behältnisse, was man mit den Pflanzen heilen konnte. Als ich Keuchhusten hatte, trank ich Großmutters Tee, den sie aus schwarzem Holunder hergestellt hatte. Und häufig musste ich mit Salbei gurgeln. Ich war ihr einziges Enkelkind, mir war alles erlaubt, und man kann sagen, dass ich durch und durch verwöhnt wurde. Es gab einfach keinen Wunsch, den mir meine Großmutter nicht erfüllte. Ihre beiden Töchter Pava und Ivka sah sie zwei Jahre lang nicht, sie wusste nicht einmal, wo sie waren. Nur Tante Ruža kam manchmal vorbei, sie war in Cetinje verheiratet, ich ging ihr sehr häufig auf die Nerven, weil ich froh war, dass sie keine Kinder zur Welt bringen konnte, denn das hätte bedeutet, dass ich Großmutter mit ihnen hätte teilen müssen. Und wenn sie so wie ihr Mann geworden wären, dann hätte ich sie kein bisschen geliebt. Ružas Mann kam nur zweimal zur Mutter zu Besuch, denn er verabscheute unsere Gegend. Ich erinnere mich daran, dass er einmal in Anwesenheit meiner Großmutter sogar sagte, die ganze Verwandtschaft stoße ihm eklig auf. Damals hatte ich keine Ahnung, was der merkwürdige Satz eigentlich bedeutete, später verstand ich ihn, hatte also Grund genug, diesen Mann zu verachten. Ich besuchte ihn nie, obwohl ich mich in Cetinje mehrmals und sogar für längere Zeit aufhielt. Ich recherchierte und sammelte Material für einen meiner Dokumentarfilme, ich interessierte mich für das erste Institut der Zarin Maria Alexandrovna , das man dort im Jahre 1869 gegründet hatte. Es war die erste Institution in ganz Montenegro, die sich um die mittlere Schulausbildung von Mädchen kümmerte. Ich war sogar zu jenem Zeitpunkt in Cetinje, als der Mann meiner Tante starb, aber zu seinem Begräbnis bin ich nicht gegangen.
Meine Großmutter Jelica hielt auch ein paar Tiere, im einfachen Volk benutzte man dafür das Wort Schatz, und zum Schatz meiner Großmutter gehörten auch Hühner, sie schlachtete jedes Jahr ein Schwein, hatte
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