Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
das eine überaus große aufregende Sache, ich trieb mich in den Straßen herum, wollte so viel wie möglich sehen und erleben, und es geschah tatsächlich auch jeden Augenblick etwas Neues. Auf dem Marktplatz ging es drunter und drüber, das faszinierte mich und deshalb kehrte ich immer wieder dorthin zurück, weil ich Angst hatte, dort etwas zu verpassen. Ich ging zwar auch zur Bahnstation und zum Friedhof, aber eigentlich nur, um wieder eiligen Schrittes zum Marktplatz zurückzukehren. Auf diesen Streifzügen machte ich auch einen Schlenker zum Garten »Unter den Platanen«, warf auch einen kurzen Blick ins Kaffeehaus, um zu sehen, ob mein Vater schon zurückgekehrt war. Einerseits brannte ich darauf zu erfahren, wie das Gespräch mit Viktor verlaufen war. Andererseits schnaufte ich erleichtert durch, wenn ich ihn dort nicht vorfand, denn so hatte ich noch Zeit, es gab so viel zu sehen und zu bestaunen. Im Vorübergehen schnappte ich auf, dass sich bald in der Stadt eine Attraktion ereignen würde, konnte aber nicht recht begreifen, um was es sich dabei genau handelte.
Ich aß etwas in einer offenen Straßenküche, schlich mich dann allein an unser Haus heran und beobachtete es aus einem Versteck. Lange schaute ich es mir einfach nur an, ohne dass etwas vorfiel. Ich hasste das Haus, hasste auch seine Bewohner, diese fremden Leute, weil sie sich unseren Besitz unter den Nagel gerissen hatten. Und das Haus hasste ich, weil wir wegen ihm L. verlassen mussten. Es erfüllte mich Zorn bei diesem Gedanken, aber mit ihm kam auch ein Gefühl von Macht in mir auf, dieses Gefühl kannte ich schon von früher. Ich stellte mir vor, den Hausbesetzern etwas zuleide zu tun, ich dachte, dass ich das könnte, einfach wenn ich sie mit meinen Augen fixierte. Diese Kraft habe ich selten benutzt, auf diese Art sogar nur noch ein weiteres Mal, zu meiner Verteidigung, aber diese Geschichte kann ich hier nicht erzählen, weil sie mir selbst Angst macht. Diese Kraft äußerte sich schon häufiger, sehr konkret, ich musste nur ein Objekt lange genug in Augenschein nehmen und mich dann darauf konzentrieren, was ich erreichen wollte. Das waren aber nie weltbewegende Dinge, sondern Belanglosigkeiten, so etwas, wie mit der Kraft meines Willens die offene Küchentür zuzumachen, bis die Scharniere zu krächzen anfingen. Mit meiner Vorstellungskraft konnte ich mich zum Beispiel auch lästiger Fliegen entledigen, jedes Mal wenn sie mir auf die Nerven gingen, konzentrierte ich mich auf ihre Flügel, machte sie erst ohnmächtig und brachte sie dann ganz langsam um. Wenn ich Ball spielte, ging in meiner Anwesenheit nie irgendein Fenster zu Bruch, ich achtete darauf, dass er nicht verschwand. Außerdem war ich der Herrscher über unzählige Käfer, und an diesem Tag in der Stadt, als ich hinter dem Baum vor unserem Haus stand, begann ich gleichsam in meiner Vorstellung von alleine, Feuer in unserem Haus zu legen, ich weiß nicht, wie es vonstatten ging, aber die Flammen loderten schneller auf, als mir lieb war, und ich sah ganze Nebelschwaden aus den Fenstern kommen, spitzgezackte Flammen flackerten aus dem Dach heraus, sogar aus den Wänden des Hauses drang das Feuer nach außen. Man hörte das Knistern der Balken und dann brach das Dach in sich zusammen. Ich war offenbar in Trance geraten, atmete schwerfällig, wie immer, wenn ich mich dieser Macht bediente. Die Sache mit dem Haus überragte bei weitem alles, was ich bisher getan hatte, ich fühlte mich wie ein Brandstifter und Mörder. Ich hörte auch Hilferufe, reagierte aber genauso wenig wie die anderen Vorbeigehenden. Dann rannte ich so schnell wie möglich weg, damit mich niemand dort ertappen und beschuldigen konnte, das Feuer gelegt zu haben. Das Bild des brennenden Hauses hatte sich tief in mich eingeschrieben und verfolgte mich noch lange wie ein Alptraum.
In den nächsten Tagen wurde der Hausbesetzer von der Polizei abgeholt; als wir dorthin kamen, verließ die Familie gerade das Haus. Ängstlich ging ich auf das Haus zu, noch immer loderten ja die Flammen in meiner Erinnerung. Vater und ich traten über die Schwelle und blieben einen Moment lang unter dem Stützbalken stehen, dann sahen wir uns zwei Stunden lang um, die Fenster im oberen Stockwerk waren weit geöffnet, nirgendwo eine Spur von Rauchgeruch, vom alles vernichtenden Feuer erst gar nicht zu reden. Ich konnte irgendwann nicht mehr an mich halten und fragte Vater, ob er denn nicht auch diesen Ruß rieche. Aber er wusste
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