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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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Fundament zog Feuchtigkeit in die Höhe. Wir gingen um das Haus herum, berührten die Wände und sahen uns das Dach an, das genauso wie die Dachluke schon morsch und verrostet war. An manchen Stellen war es mit Blech abgedichtet worden.
    So endete unser Besuch in Trebinje. Es hätte auch schlimmer kommen können. Mein Vater machte einen ruhigen Eindruck auf mich, er schien sich letztlich nichts aus irdischen Gütern zu machen. Ich ging jedenfalls davon aus, weil er oft davon gesprochen hatte, dass alles, was wir auf dieser Welt besitzen, nur vorläufiger Natur sei. »Das Leben wird nicht wertvoller, wenn man etwas besitzt, das Leben hat mit uns etwas ganz anderes vor.« So etwas hatte er schon früher zu mir gesagt, wenn wir in den Garten oder zu seinem Lieblingskaffeehaus »Unter den Platanen« gingen. Dort setzten wir uns auch jetzt hin und verschnauften etwas. Mein Vater hatte mich früher selten gestreichelt, aber an diesem Tag nahm er liebevoll meine Hand, streichelte sie und hielt sie die ganze Zeit fest, während wir auf den Kellner warteten, um uns etwas zu bestellen.
    Vater bediente sich beim Bestellen von Getränken immer eines bestimmten Rituals, und jede Wirtschaft, in der er einmal Gast gewesen ist, kannte seinen Ablauf, vor allem die Leute aus dem Kaffeehaus »Unter den Platanen«. Jetzt aber waren hier neue Besitzer und neue Kellner, und Vater musste ihnen erklären, dass er gleich zwei Schnapskaraffen auf einmal haben möchte, nicht etwa, weil ein Gläschen zu wenig für ihn war, vielmehr kam ihm ein Plural deshalb gelegen, weil er sich dann zwischen zwei Dingen entscheiden musste. Er trinke ja schließlich, weil er ein Mensch mit Dilemma sei, mit zwei Gläsern auf dem Tisch ließe sich dann sogar mit sich selbst anstoßen.
    Mein Vater hielt den Leuten praktisch einen Vortrag, in dem er ihnen darlegte, dass es mindestens zehn Arten gab, wie man sich allein betrinken konnte. Die Gründe reichten freilich vom freudigen Vergnügen bis zum bleischweren Kummer.
    Und während ich den Sirup für kleine Leute trank, so nannte man ein Konzentrat aus Himbeeren, das man mit Wasser verdünnen musste, leerte mein Vater erst das eine, dann das andere Gläschen. Er überlegte wirklich sehr lange, mit welchem Gläschen er beginnen sollte, was sich eine ganze Weile hinzuziehen schien. »Man muss gut auf seinen Kopf aufpassen, wir leben in Zeiten, in denen die Leute es kaum abwarten können, ihre Wut an den anderen auszulassen«, sagte er leise, sprach es in seinen Bart hinein, sah mich dann an und sprach auf eine Weise weiter, als verteidige er bei genauer Betrachtung etwas.
    »Ich halte meinen Kopf nicht für ein altes Gemäuer hin. Selbst wenn das Haus noch so schön wäre, oder neu erbaut, ich würde nie ein Gewehr in die Hand nehmen, um es wieder in meinen Besitz zu bringen. Ich habe keine Lust darauf, irgendeine Art von Krieg zu führen, vor allem nicht mit Menschen, die ihre Diebesbeute verteidigen, das sind nämlich die gefährlichsten, mein Junge«, sagte er, »und wenn sie nicht gefährlich wären, dann hätten sie nicht fremdes Eigentum angerührt. So logisch ist die Sache! Es ist nicht nur unsere Stadt, die so verkommen ist, sondern die Welt ist verdorben.« Dann stieß er glasweise mit sich selbst an, um dann beide Gläser ganz schnell hintereinander zu leeren.
    Selbst wenn mein Vater einen wankelmütigen Eindruck machte und von mir aus auch ein Taugenichts war, gab es viel, was ich von ihm lernen konnte. Manchmal stimmen Redensarten wirklich, mein Vater hatte von Natur aus gute Eingebungen und hin und wieder auch einen glasklaren Verstand.
    Die Stadt war lebendig und quirlig wie ein Jahrmarkt. Die Leute gingen kreuz und quer, man sah sehr viele Kämpfer mit einem fünfzackigen Stern auf der Mütze, sie trugen Lumpen, rasch zusammengeflickte Kleider, die aus Resten von Uniformen gemacht waren, die sie beschlagnahmt oder Toten genommen hatten. Auf dem Marktplatz standen einige große Militärwagen, ohne Kennzeichen, ohne Beschriftung, es hatte lediglich jemand mit ungeschickter Hand fünfzackige rote oder weiße Sterne auf sie gemalt. Aus dem Radio tönte Musik, vornehmlich russische, überall hörte man Märsche und Partisanenlieder. Irgendwo außerhalb der Stadt gab es auch Detonationen. Jeden Augenblick traf eine neue Nachricht ein, und einer stellte sich hin und machte einen Ausruf, ließ verlauten, dass dieser oder jener Held noch am Leben war. Es fiel auch der Name Tito, Worte wie die Kommunistische

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