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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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überhaupt nicht, wovon ich rede, und wollte sich nur so schnell wie möglich einen Eindruck vom Zustand des Gebäudes verschaffen. Von unserem alten Hausstand war fast überhaupt nichts übrig geblieben, nur im Erdgeschoss und im Keller fanden wir einiges an Zubehör aus dem Gemischtwarenladen. Da waren die einfachen kleinen und die großen Waagen, auch Balkenwaagen darunter, Packkörbe für Obst, Korbflaschen, Gläser, Ölfässer, normale Flaschen, Trichter, unterschiedliche Gewichte und so manches andere, das uns bei der Wiedereröffnung des Ladens noch von Nutzen sein konnte. Wir erledigten alle Formalitäten, die Handelserlaubnis, die man uns vor dem Krieg ausgestellt hatte, war noch immer gültig, auch die anderen Dokumente waren nicht abgelaufen. Im Juni 1945 konnten wir unseren Laden wieder aufmachen und zwei, drei Monate später eröffneten wir zusätzlich eine kleine Wirtsstube, die eigentlich nur eine Art Buffet war und die sich im gleichen Raum befand. Vater gelang es, etwas von seinem guten Land zu verkaufen, aber auch Ländereien, die gerodet werden mussten, um fruchtbar gemacht zu werden, dann, zu Mutters großer Zufriedenheit, verkaufte er schließlich auch unser Haus in L. Mutter wurde nicht müde zu betonen, dass die Stadt viel besser zu uns passte, das Dorf ohnehin nur etwas für Analphabeten war, womit sie eine Anspielung auf jenen Teil unserer Familie machte, von dem keiner lesen oder schreiben konnte. In diesen Tagen, als Verhandlungen, Umzugskisten und Verkaufsstrategien an der Tagesordnung waren, flüchtete ich zu meiner Großmutter Jelica. Ich war wütend auf meine Eltern, aber musste mich schon zu Beginn des Schuljahres ihren Entscheidungen fügen.
    Vater war wieder nach Dubrovnik unterwegs, um den Großeinkauf zu machen, aber er fuhr ebenso an andere Orte, weil er auch an den unterschiedlichen Groß- und Viehmärkten interessiert war. Sein Kompagnon, der Großhändler Ljubo Maras aus Dubrovnik, machte mit der Auslieferung der Waren genau an der Stelle weiter, an der er vor Kriegsausbruch aufgehört hatte. In unserer Wirtsstube trank man wieder Weißwein aus Konvala und Mostar, den sogenannten Žilavka, und als Rotwein gab es Plavac und Blatina. Der Laden war solide, mit allerlei Waren gefüllt, aber es herrschte dennoch großer Mangel, so wie immer und überall in Nachkriegszeiten. Erstaunlicherweise konnte man aber selbst in dieser Zeit allenthalben Geräte für die Landwirtschaft kaufen, Gartenmesser beispielsweise, man bekam auch die teuersten Rasiermesser, originalverpackt, auf denen A MASUTTI stand; Karbid und Petroleum für die Lampen gab es auch, und an Lebensmitteln konnte man Reis, Salz, Kaffee bekommen, auch Weißmehl gab es, das wir unter uns »Sattmacher« nannten.

26
     
    Wann immer mein Vater nach Dubrovnik reiste, begleitete ich ihn bis zur Bahnstation, blieb allein auf dem Gleis zurück, stand dort, bis der Zug anfuhr, und manchmal stieg ich sogar mit ihm ein und fuhr noch zwei, drei Kilometer mit meinem Vater mit, bis zur nächsten Biegung, an der das Ječmeni-Tal begann, und dort sprang ich heraus, ohne mir je wehzutun. Mein Vater lobte meine Sicherheit und Leichtigkeit, mit der ich das immer tat. Nach Hause kam ich aber bedrückt zurück, jetzt war mein Vater wieder weg, aber ich war auch glücklich, darüber, dass er sich noch lange aus dem Zugfenster hinausgelehnt und mir gewunken hatte. Immer stellte ich mir in diesen Augenblicken bereits seine Rückkehr vor. Und mit schnellen Schritten, manchmal auch über die Gleise springend, ging ich dann zurück. Wenn ich auf den Gleisaufseher traf, gingen wir eine Weile gemeinsam. Er zeigte mir einmal, wie man mit dem langstieligen Hammer umgehen musste, den er immer bei sich trug. Ich bekam es von ihm vorgeführt. Ich hatte das Gefühl, dass man den Hammer wie ein Jongleur halten und von der einen in die andere Hand werfen musste, damit ein gewisser Rhythmus beim Kontrollieren der Schienen zustande kam, aber der Hammer wurde auch für die Eisenkeile benutzt; wenn sie nachgelassen hatten, musste man sie wieder einklopfen, denn sonst wäre auch irgendwann das Holz locker geworden. Der Mann war darin genauso wie im Hantieren mit dem Französischen Schlüssel geübt, mit dem er die locker gewordenen Schrauben flink nachzog. Wann immer er auf die Schienen oder auf die Keile hämmerte, hielt er jedes Mal inne, um dem dabei entstandenen Geräusch nachzuhorchen. Er legte immer die Hand hinters Ohr, um besser zu hören, so als sei er

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