Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Partei usw.
Für mich war dies ein großer Tag, nicht nur deshalb, weil ich einen neuen Anzug trug und gerade meine erste Zugreise hinter mich gebracht hatte, sondern auch wegen der Neubegegnung mit der Stadt, die in meiner Vorstellung ganz anders aussah, meine Erinnerungen waren schnell verblichen, falls ich sie je aus meinen ersten Lebensjahren deutlicher in mir getragen hatte. Meine Mutter hatte wahrscheinlich recht, wenn sie davon sprach, dass ich mir fremde Geschichten aneigne und sie dann im Gedächtnis in meine eigenen umforme. Vater war schon recht gut gelaunt, seine Freunde waren um ihn versammelt und ich rannte in den Park, den ich als das Paradies auf Erden in Erinnerung hatte. Meine Mutter hatte mich immer dorthin gebracht, damit ich den Vögeln zuhöre. Ich hatte mir damals die überaus schön geformten Kronen der unterschiedlichsten Bäume angesehen. Jetzt hatten sie sich verändert, alles war verwüstet und schmutzig, die Bäume gefällt, und ein kranker Vogel hing auf dem Rest einer Sitzbank aus Eisen. Entweder schlief er oder er starb gerade, das konnte ich nicht genau erkennen. Ich ging von dort aus zu der alten Mauer und sah sie mir genauer an, häufig hatte ich geträumt, dass ich hier hinaufklettere. Aus der Nähe sah die Mauer nicht mehr so gefährlich aus wie in meinen Träumen. Sie schien bezwingbar.
25
Wir blieben in der Stadt, um die Sache mit dem Haus zu klären. »Wir müssen in Erfahrung bringen«, sagte mein Vater, »ob uns das alles tatsächlich noch gehört oder ob wir jetzt in einer Gesellschaft leben, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, ohne Pardon und Gesetz zu handeln.« Wir fanden ein schönes und sauberes Plätzchen zum Schlafen, aber ich konnte kaum ein Auge zumachen und wurde sehr früh wach, die Stadtgeräusche, die Glocken, das Stimmengewirr, all das tönte von der Straße zu uns herauf, ich stand mehrmals auf, ging zum Fenster, um zu sehen, was draußen vor sich ging, warum es so laut war, und fragte mich, ob das immer so in der Stadt war und ob jeder Morgen ein Übermaß an Stimmen in sich trug.
»Wir werden uns von der Stadt nicht einschüchtern lassen«, sagte der Vater, als er mich am Fenster stehen sah. »Soll die Stadt doch machen, was sie will, wir finden schon unser Plätzchen in ihr.«
Vaters Tag begann mit Tabak und einem Mokka im Kaffeehaus »Unter den Platanen«. Als wir dort Platz nahmen, kam ein Ochsenkarren vorbei, auf dem sich unzählige Tierkadaver befanden, die man überall in der Stadt aufgesammelt hatte. Der Gestank schnürte uns allen die Kehle zu. Der Mann, der den Karren zog, hielt sich ein Tuch vor den Mund, um sich so diese unerträgliche Arbeit zu erleichtern. Nur einen Augenblick später fuhr ein Motorrad mit Anhänger geradewegs ins Kaffeehaus hinein und machte eine Vollbremsung vor den ersten Tischen. Der Anhänger war voller kahlrasierter und ausgemergelter Kinder, die flink absprangen und einen Tisch in Beschlag nahmen. Der Fahrer gab dem Kellner die Anweisung, ihnen alles zu trinken zu geben, was sie verlangten. »Das sind Kriegswaisen«, sagte er und fuhr weg, um noch eine weitere Gruppe zu holen. Ich betrachtete diese verängstigten und kriegsgeplagten Kinder, die fast alle im gleichen Alter waren wie ich. Keines von ihnen wusste, was es eigentlich bestellen wollte, und sie fingen deshalb alle an, erst einmal lauthals zu lachen. Nur ein Junge lachte nicht, er machte einen sehr ernsthaften Eindruck und beobachtete mich die ganze Zeit.
Ich begleitete meinen Vater zum Rathaus. Viktor Bloudek arbeitete dort und wir wollten ihn treffen, er war in der Zwischenzeit ein hoher Militär geworden. Wir hatten uns nicht angekündigt, weil Vater sagte, es sei immer besser, mächtige Leute einfach zu überraschen und mit der Tür ins Haus zu fallen. Über Viktor hatten wir gehört, dass er nicht nur den zivilen Sektor verwaltete, sondern auch für Militär und Innere Angelegenheiten zuständig war, und man hatte ihn schon jetzt zum Sekretär des Parteikomitees in der Stadt gewählt. Überall sprach man davon, dass Viktor hier nur vorübergehend war, nur auf der Durchreise, es warte, hieß es allenthalben, eine hohe Position in der neuen Staatsregierung auf ihn. Vater gab mir etwas Geld, ich sollte ein bisschen spazieren gehen und die Stadt kennenlernen, irgendwo etwas essen, bis er sich um seine Angelegenheiten gekümmert hätte, denn er wollte sich absichern und den Konflikt um das Haus auf eine rechtliche Grundlage stellen.
Für mich war
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