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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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durchaus sein. Nun, als das mit den Schatten nicht klappte, musste sich die Maschine was anderes einfallen lassen. Sie gab Benjamin den immer stärker werdenden Wunsch, die Stadt zu verlassen, was ihn in Konflikt mit Hannibal brachte. Doch das Ungleichgewicht nahm weiter zu, und deshalb führte sie ihn – euch – schließlich zum Arsenal.«
    »Wodurch es zum Kampf zwischen Streunern und Gemeinschaft
kam«, sagte Benjamin. »Und wodurch der Supermarkt verschwand.«
    »Richtig. Ihr seid ins Labyrinth geflohen, und die Maschine hoffte – wenn sie hoffen kann, da bin ich mir nicht ganz sicher –, ihr würdet ihren Einflussbereich verlassen. Doch das geschah nicht. Ihr seid in die Stadt zurückgekehrt, und deshalb musste eine andere Lösung für das Problem gefunden werden.«
    »Das Loch.«
    »Das Loch, ja. Jetzt befindet ihr euch nicht mehr im Wirkungsfeld der Maschine, und sie kann das Gleichgewicht in der Stadt wiederherstellen.« Laurentius hob die Hände. »So einfach ist das alles.«
    Einige Sekunden herrschte Stille, nur gestört vom leisen Knacken des Feuers im Kamin.
    »Du hast uns noch nicht gesagt, was es mit deinem ›kleinen Freund‹ auf sich hat«, sagte Louise schließlich. »Ich meine das dunkle Monster mit Benjamins Gesicht.«
    »Oh, ich dachte, das wäre inzwischen klargeworden. Der arme Kerl ist Benjamins dunkle Hälfte, die sich im Augenblick des Todes von ihm getrennt hat, Townsend sei’s gedankt.«

Die Maschine

62
    »Sind wir noch immer im Turm?«, fragte Louise, als sie durch einen Flur schritten, der mindestens hundert Meter lang war und nicht in den Turm passte, zumindest nicht horizontal. Benjamin nahm ihre Stimme wahr, als hätte er Wattepfropfen in den Ohren, denn er war noch immer mit sich selbst beschäftigt, vielleicht noch mehr als vorher.
    »O ja, meine Liebe«, erwiderte Laurentius aufgeräumt und biss in einen weiteren Apfel. Die Taschen seines grünen Lodenmantels, den er auch hier trug, schienen viele davon zu enthalten, und auch andere Dinge. »Er ist die Nabe dieser Welt, ihr Zentrum. Ich glaube, darauf habe ich schon hingewiesen, nicht wahr? Bist du sicher, dass du nicht noch einen Apfel möchtest?«
    »Ganz sicher. Was ich jetzt gebrauchen könnte, wäre ein Schluck Medizin.«
    »Warum hast du das nicht gleich gesagt, Teuerste?« Laurentius griff grinsend in die andere Manteltasche und holte eine Flasche aus ihr hervor. »Medizin gefällig?«
    Louise griff nach der Flasche, schraubte sie auf und trank. Anschließend holte sie tief Luft. »Eindeutig Medizin«, sagte sie anerkennend. »Von der besten Sorte. Ben?«

    Er nahm die Flasche geistesabwesend entgegen und trank ebenfalls. Die klare Flüssigkeit brannte in seiner Kehle, aber er merkte es kaum. Seine Gedanken rasten, prallten von den Innenwänden seines Schädels ab und kehrten ins Zentrum des Bewusstseins zurück, auch jene, die er nicht dort haben wollte.
    Louise zog die Flasche aus Benjamins Hand und trank erneut. »Was ist mit deinen Manteltaschen?«, fragte sie Laurentius. »Was da alles drinsteckt … Sie scheinen wie ein kleiner Supermarkt zu sein.«
    Laurentius lachte, ohne auf die Worte einzugehen. An einem der Gemälde, die an den Wänden zu beiden Seiten des Flurs hingen, blieb er stehen und deutete auf die Darstellung eines würdevoll aussehenden alten Mannes. Im Hintergrund war die dunkle Stadt zu sehen, und wenn man genau hinsah – und das tat Benjamin –, konnte man Schlangen auf den Dächern erkennen. Einige von ihnen schienen Flügel zu haben.
    »Vielleicht wird hier auch einmal ein Bild von mir hängen«, sagte Laurentius. Er biss erneut in den Apfel und kaute nachdenklich.
    »Wer sind diese Leute?«, fragte Louise.
    »Meine Vorgänger. Die früheren Aufseher der Maschine.«
    »Was ist aus ihnen geworden?«
    Der Alte zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Gräber habe ich keine gefunden. Aufseher sterben hier unten nicht, im Gegensatz zu Menschen. Das heißt, Menschen würden hier natürlich auch nicht sterben, zumindest nicht im üblichen Sinn. Schließlich sind sie bereits tot. Aber ihre Seelen würden … die begonnene Reise fortsetzen.«
    »Wohin?«, fragte Louise und trank noch einen Schluck.
Ein kleiner, leiser Gedanke kroch an die Oberfläche von Benjamins Bewusstsein und flüsterte dort: Sie muss sehr krank sein, wenn sie so viel Medizin braucht.
    »Wie groß ist die Welt des Lebens?«, erwiderte Laurentius.
    »Die Erde? Ziemlich groß.«
    »Nein, nicht die Erde. Die ganze Welt des Lebens.

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