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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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der einen Seite ragten Stoßstangen aus dem rostigen Durcheinander; auf der anderen ließ sich etwas erkennen, das Benjamin für die Kotflügel eines alten Lkws hielt.
    »Vielleicht haben wir die Stadt bei etwas gestört«, sagte Velazquez.
    »Wie auch immer … kurze Pause.« Katzmann stellte den Motor ab, stieg aus und öffnete die Heckklappe. Während er sich daranmachte, den Inhalt von drei Zehn-Liter-Kanistern in den Tank zu geben – das Benzin stammte von der kleinen Tankstelle hinter dem Supermarkt –, gingen Velazquez und Benjamin zu dem Schrotthaufen und betrachteten ihn aus der Nähe. Kowalski stand hinten am Wagen und überprüfte den Inhalt seines Koffers.
    »Das scheinen … drei oder vier Autowracks zu sein«, sagte Benjamin. »Vollkommen ineinander verkeilt.« Und er fragte: »Woher stammen die Autos? Wer oder was hat sie so zusammengedrückt und dann hierhergebracht?«
    »Die Stadt«, sagte Velazquez. »Komm, ich zeige dir was.«
    Benjamin folgte ihm rechts an dem Schrotthaufen vorbei – die Lücke zwischen den zusammengepressten Wagen und der Mauer, die den schmalen Gehsteig auf der rechten Seite
begrenzte, war knapp drei Meter breit – und zu einem etwa zwanzig Meter entfernten Tor in der Mauer. Beide Torflügel standen offen und gewährten Blick auf einen Schrottplatz voller alter Autos und Lastwagen. Jeweils fünf oder sechs lagen aufeinander und bildeten dicht an dicht stehende Stapel. Nichts regte sich zwischen den Türmen aus Blech; nirgends summten oder brummten die hydraulischen Systeme einer Presse.
    »Darum gibt es nirgends Autowracks«, sagte Velazquez. »Die Stadt bringt sie hierher.«
    »Die Stadt«, murmelte Benjamin.
    »Frag mich nicht, wie sie es anstellt. Ich hab nicht die geringste Ahnung. Aber offenbar lässt sich die Stadt nicht gern dabei beobachten.« Mit dem Walkie-Talkie in der Hand deutete Velazquez zum Schrotthaufen. »Sie hat den Kram dort liegen lassen, als sie merkte, dass wir uns näherten.«
    Benjamin sah zu den vierstöckigen Gebäuden auf der anderen Straßenseite. Die Fassaden waren grau, die Fenster schmutzig und leer, ohne Gardinen. Weiter links, in der Richtung, aus der sie kamen, ragten die drei Türme auf – im Licht der Sonne glänzten ihre Spitzen wie Gold. Keine Bäume oder Sträucher, nirgends Blumen, nicht ein einziger Grashalm in den Ritzen und Furchen, die Asphalt und Gehsteig durchzogen. Benjamin erinnerte sich an den Eindruck, den er in der ersten Nacht von der Stadt gewonnen hatte: dass sie nicht tot war, obwohl Tote in ihr wandelten.
    »Es kann weitergehen!«, rief Katzmann und winkte.
    Sie kehrten zum Patrouillenwagen zurück, den Katzmann eine Minute später durch die Lücke zwischen Schrotthaufen und Mauer steuerte. Benjamin sah durchs Rückfenster, als
sie die Fahrt fortsetzten, und stellte sich vor, wie die ineinander verkeilten Autowracks von unsichtbaren Händen durchs offene Tor getragen und auf dem Schrottplatz abgesetzt wurden.
    Etwa zehn Minuten später deutete Katzmann nach vorn. »Dort ist das Gebäude, das wir uns ansehen sollen.«
    Es gehörte zu einer Gruppe von graubraunen Hochhäusern, die Benjamin an alte Aufnahmen von New York erinnerten. Es waren keine modernen, glatten Bauten aus Stahl und Glas, sondern stufenförmige Riesen in der Art des 1913 errichteten Woolworth Building.
    »Es scheint mir nicht neu zu sein«, sagte Benjamin.
    »Bis gestern hatte es siebenundfünfzig Stockwerke. Jetzt sind es zweiundsechzig.« Katzmann fuhr langsamer und hielt vor dem Wolkenkratzer. »Velazquez, gib eine Meldung an Oskar durch. Kowalski, Benjamin … Wir müssen vorsichtig sein. Vielleicht haben auch die Streuner gemerkt, dass dieses Gebäude gewachsen ist.«
    Sie stiegen aus. Benjamin dachte an Dago und seine Meute, und Unbehagen erfasste ihn. »Wir sind nicht bewaffnet«, sagte er und meinte sich selbst und Kowalski, der die Heckklappe aufzog und seinen großer Koffer öffnete.
    Katzmann klopfte auf seinen Revolver. »Das hier und die Armbrust sollten genügen.«
    »Hilfst du mir bitte, Benjamin?«, rief Kowalski. »Ich möchte einige Instrumente mitnehmen, für wichtige Messungen in den neuen Etagen. Vielleicht finde ich dort endlich einen Hinweis auf die Wirkungsquanten dieser Stadt-Dimension.«
    Benjamin ging zu ihm und nahm einige Dinge in Empfang, die er nicht identifizieren konnte. Katzmann schlang
sich die Riemen eines Rucksacks um die Schultern, überprüfte seinen Revolver und schloss den Wagen ab, nachdem Velazquez den

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