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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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führte er über die Stufe, um
eine Stange des Geländers auf der linken Seite und dann nach oben, verschwand dort im Dunkel des nächsten Stocks.
    Katzmann bedeutete den anderen, keinen Ton von sich zu geben, trat vorsichtig über den Faden hinweg und schlich auf Zehenspitzen nach oben, in die letzte alte Etage des Hochhauses. Er hielt jetzt wieder den Revolver in der Hand.
    Benjamin wagte kaum zu atmen, als er ihm zusammen mit Velazquez folgte. Der Treppenabsatz, den sie kurz darauf erreichten, war der letzte, obwohl es über ihnen noch fünf andere Stockwerke gab. Wo weitere Stufen nach oben führen sollten, erstreckte sich eine weißgraue Wand, glatt und frei von Schmutz. Hinter dem Ende des wie abgeschnitten wirkenden Geländers bildeten fünf oder sechs leere Büchsen einen Stapel, und der Faden war um die unterste gewickelt. Links vom Treppenabsatz gab es einen kurzen, schmalen Korridor, in dem sich Schatten drängten, und auf der rechten Seite einen breiteren Flur, in dem ein alter wackliger Tisch stand und darauf ein Stuhl. Etwa anderthalb Meter über dem Stuhl wies die Decke eine kreisrunde Öffnung auf, die offenbar den einzigen Zugang zu den neuen Stockwerken des Gebäudes darstellte. Die Blutspur führte zum Tisch, und dorthin wandte sich Katzmann, setzte langsam und lautlos einen Fuß vor den anderen.
    Benjamin erreichte den Treppenabsatz, sah nach links und entdeckte dort einen kleinen dunklen Fleck auf dem Boden.
    »Katzmann!«, rief er, und praktisch im gleichen Moment löste sich ein Schemen aus der Dunkelheit auf der linken Seite, sprang vor und holte mit einer Stange aus.
    Aber die Gestalt schlug nicht zu. »Katzmann?«, fragte sie.
    »Lieber Himmel, Louise, fast hätte ich auf dich geschossen!«
Katzmann schüttelte den Kopf und ließ den Revolver sinken.
    Benjamin brachte die letzte Stufe hinter sich, in den Armen noch immer die Kowalski-Instrumente. Am liebsten hätte er sie beiseitegeworfen. »Bist du verletzt?«
    »Oh, Ben, hallo.« Louise stellte die Stange an die Wand. Am linken Arm trug sie einen improvisierten Verband; Blut rann darunter hervor. »Meinst du das hier? Der Mistkerl hätte mich fast erwischt, trotz der Warnfalle. Ich hab ihn mit seinem eigenen Messer erledigt. Liegt er noch dort unten?«
    »Nicht mehr«, sagte Katzmann. »Wir haben ihn in einem der Apartments untergebracht.«
    »Gefesselt und geknebelt, nur für den Fall«, fügte Velazquez hinzu. »Es wird kein schönes Erwachen für ihn sein.«
    Benjamin trat einen Schritt näher. »Ist es schlimm?«
    »Es wird schon besser.« Louise lächelte matt. »Keine Sorge, es heilt.« Sie schnaufte verärgert. »Die verdammte Schlampe Jasmin. Als Dago und seine Truppe von eurem blöden Austausch zurückkehrten, bin ich ihr über den Weg gelaufen. Klar, dass so was mir passieren musste. Als ob die Stadt nicht groß genug wäre.«
    Katzmann steckte den Revolver ins Halfter. »Was ist passiert?«
    »Jasmin folgte mir zu meiner Hauptwohnung drüben beim Kanal, und ich bin so verdammt blöd gewesen, nichts zu merken.« Louise schüttelte den Kopf. » Als ich schließlich dahinterkam, war es zu spät. Sie hatte den anderen Streunern Bescheid gegeben, und die ganze Truppe fiel über meine Wohnung her. Ich konnte gerade noch rechtzeitig entwischen, aber meine Vorräte sind futsch.« Sie deutete auf ihren
Rucksack in der Ecke. »Nur ein paar Konserven und zwei Flaschen Medizin sind mir geblieben.«
    Velazquez leckte sich die Lippen. »Besser als gar nichts.«
    »Ich nehme an, deshalb bist du hier, nicht wahr?«, fragte Katzmann und deutete auf Tisch und Stuhl im Flur, unter dem runden Loch in der Decke.
    »Ja. Ihr wisst doch, dass man in neu gewachsenen Teilen der Stadt manchmal interessante Dinge finden kann. Sie erscheinen nicht jeden Tag.« Louise warf Benjamin einen kurzen Blick zu. »Ich brauche Tauschobjekte, die Hannibal für nützlich genug hält, mich in den Supermarkt zu lassen. Einem von Dagos Leuten muss es gelungen sein, sich mir an die Fersen zu heften. Vielleicht wollte er Jasmin einen Gefallen tun. Die hat es auf mich abgesehen, seit der Sache mit Laslo.« Sie verdrehte die Augen.
    »Hast du schon gehört?«, fragte Velazquez. »Laslo ist jetzt mit …«
    Katzmann ließ ihn nicht ausreden. »Ich schlage vor, wir vertrödeln nicht noch mehr Zeit und sehen uns die neuen Stockwerke an.«

21
    Die neuen Etagen, zumindest die unteren vier, sahen aus wie gerade errichtet: die weißen Wände so frisch getüncht, dass sie an manchen

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