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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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eilig. Sie schnappte sich einen Einkaufswagen und eilte damit fast im Laufschritt durch die Gänge. Benjamin folgte und nickte den anderen Gemeinschaftsmitgliedern zu, denen sie unterwegs begegneten. Ihren erstaunten Blicken, die insbesondere Louise galten, schenkte er keine Beachtung.
    Louise hatte es vor allem auf Konserven abgesehen, auf Dinge, die sich lange hielten. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, sie in den Einkaufswagen zu stellen, ließ sie einfach hineinfallen, fügte ihnen Batterien und Einwegfeuerzeuge hinzu, einen bunten Karton, der einen kleinen Gaskocher enthielt, zwei Dosenöffner, dann schnell weiter zur nächsten Abteilung: zwei Decken, Unterwäsche, eine Jeans, einige Blusen, einen Pullover, eine Jacke …
    »Langsam, langsam«, sagte Benjamin. »Du siehst ja nicht einmal nach, ob die Sachen die richtige Größe haben.« Er begriff, warum sie sich so beeilte: Louise rechnete damit, dass in einigen Minuten jemand aufkreuzte, der sie daran hindern würde, ihren »Einkauf« fortzusetzen.
    »Aus dem Weg«, sagte sie, schob den Wagen an ihm vorbei und sauste weiter.
    Die Musik wurde leiser, und eine Stimme säuselte: »Nutzen sie unser spezielles Angebot. Nur heute: Für jeweils fünfzig Talann Einkaufswert bekommen Sie ein Los unseres großen Preisausschreibens. Gewinnen Sie eine Mittelmeer-Kreuzfahrt.
Von Genua zur türkischen Riviera. Mit allem Komfort. Das bieten Ihnen nur die Fundgruben von Golden Globe.«
    »Mittelmeer? Hast du gehört, Louise? Der Supermarkt wirbt mit einer Mittelmeer -Kreuzfahrt.«
    Aber Louise war schon zwei Gänge weiter, und ihr Einkaufswagen füllte sich immer mehr. »Wie willst du das alles wegschaffen?«, fragte er.
    Die Musik aus den verborgenen Lautsprechern verstummte ganz, und eine Männerstimme erklang: »Aus gegebenem Anlass möchten wir darauf hinweisen, dass in den Fundgruben von Golden Globe weder das Tragen noch der Gebrauch von Schusswaffen zugelassen sind. Wir danken Ihnen für Ihr Verständnis.« Die Musik kehrte zurück, und die anderen Kunden im Supermarkt, die kurz stehen geblieben waren, schlenderten weiter. Am Stand mit Aufschnitt und Käse, wo sich gerade einige Lücken füllten, stand ein gelangweilt wirkender Wächter, der weder Pistole noch Gewehr trug, sondern eine Armbrust. Bestimmt erkannte er Louise und wusste auch, dass sie nicht zur Gemeinschaft gehörte, aber sein Blick verweilte nur ein oder zwei Sekunden auf ihr und wanderte dann weiter. Vielleicht ging er davon aus, dass alle, die an den Wachen draußen vorbeigekommen waren, ein Recht darauf hatten, sich im Supermarkt aufzuhalten.
    »Ich leihe mir den Einkaufswagen aus und schiebe ihn bis zur Tulpenstraße.«
    »Tulpenstraße?«, wiederholte Benjamin und folgte Louise, als sie durch die Abteilung mit den Haushaltswaren hastete und dem Inhalt ihres Wagens einen Topf und eine Pfanne hinzufügte.

    »So heißt die Straße.« Louise sprach schnell und machte zwischen den einzelnen Sätzen kaum eine Pause. »Das Schild ist noch zu sehen. Natürlich gibt’s da keine Tulpen. In einem der Wohnhäuser habe ich mir einen kleinen Schlupfwinkel eingerichtet, den Dagos Truppe hoffentlich nicht kennt. Es ist nicht weit von hier, nur eine halbe Stunde zu Fuß.«
    Also zwei oder drei Kilometer, dachte Benjamin. Immerhin. Als Louise am Ende eines Ganges Tütensuppen in den Einkaufswagen schaufelte – so schnell, dass sich die Lücken in den Regalen nicht sofort wieder füllten –, fragte Benjamin: »Warum hat Hannibal dich rausgeworfen? Er hat dich doch rausgeworfen, oder?«
    Louise zögerte er. »Das hat er, ja. Weil ich dauernd dumme Fragen gestellt habe. Und weil …« Sie hob und senkte die Schultern. »Es ist eine lange Geschichte.«
    »Wir haben Zeit«, sagte Benjamin.
    »Nein, haben wir nicht.« Louise drehte den fast vollen Einkaufswagen und joggte damit in Richtung der Kassen. Ein Dingdong unterbrach die Hintergrundmusik, und eine fröhliche Stimme verkündete: »Frisch aus unserem Backofen: Pizza mit echtem Mozzarella. Ein großes Stück nur einen Talann. Greifen Sie zu!«
    Benjamin hatte kurz gezögert und schloss zu Louise auf, als sie den Wagen an den Kassen vorbeischob. Vor ihnen glitt die große Glastür des Eingangs beiseite, und Hannibal betrat den Supermarkt, begleitet von zwei jungen, kräftig gebauten Männern, die Louise den Weg versperrten und ihren Einkaufswagen festhielten.
    »Zugang ist dir nur dann gestattet, wenn du uns etwas
bringst, das wir gebrauchen können«, sagte

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