Die Stadt - Roman
mit dies ?«
»Vielleicht hast du aufgehört, weil du Gespenster siehst, wenn du betrunken bist. Oder andere Städte im Nebel.«
»Ich versichere dir …«
Louise drehte sich zur Seite und hielt ihm den Zeigefinger an die Lippen. »Pscht. Sei ein braver Junge und schlaf.«
Einige Minuten später war Louise eingeschlafen, aber Benjamin lag wach da, fühlte noch immer die Fingerkuppe an den Lippen und starrte zum Mann an der Decke hoch. In seinen Augen glaubte er, ferne Lichter zu sehen, ganz schwach und von grauen Schleiern umhüllt.
Der Streuner befand sich nicht mehr in dem Apartment, in dem sie ihn zurückgelassen hatten, und das war nicht die einzige Überraschung, die sie am nächsten Morgen erwartete.
Tiefe Kratzer durchzogen den Lack des Patrouillenwagens, an einigen Stellen so tief, dass das Blech darunter aufgerissen war. Das Dach wies große Dellen auf, und die Heckscheibe war an mehreren Stellen gesprungen. Benjamin, Louise und Katzmann gingen langsam um den Wagen herum, den Velazquez gerade aus der Tiefgarage geholt hatte. Kowalski schleppte seine Instrumente herbei und legte sie vorsichtig auf den Bürgersteig.
»Ich schätze, der verschwundene Streuner hatte keine so langen Fingernägel«, sagte Benjamin.
»Kreaturen.« Louise sah sich die Kratzer in der Fahrertür aus der Nähe an. »Der Nebel ist in die Tiefgarage gekrochen, und die Kreaturen mit ihm. Ob sie sich den Streuner geschnappt haben?« Sie sah Katzmann an.
»So weit oben?« Katzmann blickte an dem Wolkenkratzer hoch. »Das bezweifle ich.«
»Hannibal meinte, dass Tote nur in den oberen Etagen des Hospitals wieder lebendig werden«, sagte Benjamin.
»Dort geht’s am schnellsten«, erwiderte Louise.
Katzmann zuckte nur mit den Schultern.
Benjamin blickte sich um, aber die Straße war leer. Die Sonne stand im Westen über den Dächern und kletterte langsam am Himmel empor, durch einen vagen Dunst, der ihr Licht ein wenig trübte. Von Süden her zogen Wolken auf und versprachen Regen.
Velazquez stieg aus, öffnete die Heckklappe und half Kowalski dabei, seine Instrumente im großen Koffer zu verstauen.
»Des Teufels Krallen«, sagte er und deutete auf die Kratzer.
Kowalski sah zur Sonne hoch. »Sie scheint mir kleiner zu sein als gestern«, murmelte er. »Selektive Strahlungsreduktion. Es könnte sein, dass es in diesem Teil der Stadt bald Winter wird.«
Sie verstauten alles hinten im Wagen – Velazquez’ Staffelei, Kowalskis Instrumente und ihre Rucksäcke – und stiegen ein. Katzmann drehte den Zündschlüssel und nickte zufrieden, als der Motor sofort ansprang. Dann sah er über die Schulter. »Du kommst mit uns?«, fragte er Louise, die hinten zwischen Benjamin und Kowalski saß.
»Ich könnte ein bisschen Hilfe gebrauchen«, sagte sie halb verlegen.
»Hilfe?« Katzmann fuhr los.
»Ich hab praktisch nichts mehr«, sagte Louise. »Meine ganzen Vorräte sind hin. Ich muss unbedingt in den Supermarkt.«
Benjamin sah im Rückspiegel, wie Katzmann eine Grimasse schnitt. »Du weißt ja, wie Hannibal darüber denkt.«
»Verdammt, was soll ich machen, Katzmann? Ich stehe mit leeren Händen da. Ich hab nicht mal mehr was zu essen! Allein lässt man mich nicht in den Supermarkt. Ich brauche Hilfe.«
»Ich bringe dich hinein«, sagte Benjamin, noch bevor er richtig darüber nachgedacht hatte.
»He, Kumpel, immer langsam«, mahnte Velazquez. »Derzeit bist du bei Hannibal ohnehin nicht besonders gut angeschrieben. Wenn du erneut gegen die Regeln verstößt, schmeißt er dich raus.«
»Nur zehn Minuten, Katzmann, mehr nicht«, sagte Louise.
»Ich nehme mir nur die wichtigsten Dinge. Verdammt, ich nehme doch niemandem etwas weg ! Die Lücken in den Regalen füllen sich wieder.«
»Der Supermarkt ist nicht Hannibals Eigentum«, sagte Benjamin. »Ich finde es absurd, dass er allein darüber bestimmt. Alle sollten Zugang haben.«
»Benjamin, du bist erst seit ein paar Tagen in der Stadt …«, begann Velazquez.
»Und wenn schon. Wir können Louise doch nicht einfach so hängenlassen. Sie hat mir geholfen, als ich in der Stadt angekommen bin. Jetzt helfe ich ihr. Bitte fahr uns zum Supermarkt, Katzmann.«
Velazquez befingerte die Schalter und Knöpfe des Walkie-Talkies auf seinem Schoß. »Ich glaube, es gibt noch immer Interferenzen«, sagte er mit einem Blick zu Katzmann.
Sie fuhren über eine Brücke. Das vom hohen Dunst gefilterte Licht der Sonne glänzte auf dem langsam fließenden Wasser.
»Na schön«, brummte Katzmann
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