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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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schließlich. »Na schön . Ich fahre euch hin, aber ich nehme dies nicht auf meine Kappe, damit das klar ist.«

Einblicke

23
    Als sie den Supermarkt erreichten, fielen erste kalte Regentropfen aus dunkelgrauen Wolken.
    »Du machst einen Fehler, Ben«, sagte Louise. »Ich danke dir, aber du machst einen Fehler.«
    Hinter ihnen wendete Katzmann den verbeulten und zerkratzten Patrouillenwagen und steuerte ihn auf die Straße zurück. Velazquez und Kowalski winkten, und Benjamin hob kurz die Hand.
    »Wieso?«, fragte er und schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Es war kälter geworden.
    »Noch bist du Mitglied der Gemeinschaft, Ben, und glaub mir: Mit Zugang zum Supermarkt lässt es sich hier leichter leben. Wenn du mir hilfst, schmeißt Hannibal dich vielleicht raus.«
    »Wenn er davon erfährt.«
    »Er wird davon erfahren.« Louise deutete über den großen Parkplatz zur Barriere vor dem Eingang des Supermarkts. Zwei Männer hielten dort Wache. »Sie kennen mich.«
    »Und wenn schon.« So etwas wie Trotz regte sich in Benjamin. »Du hast mir geholfen, und ich …«
    »Ben.« Louise legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich finde
es nett, dass du mir helfen willst, wirklich. Aber ich fürchte, dir ist nicht ganz klar, welche Konsequenzen du herausforderst. Dies ist der einzige Supermarkt in der Stadt, und nur Mitglieder der Gemeinschaft haben Zugang. Alle anderen müssen sehen, wie sie zurechtkommen. Noch kannst du einfach in die Küche des Gloria gehen, wenn du Hunger hast. Oder du holst dir aus dem Supermarkt, wonach dir gerade der Sinn steht. Aber da draußen in der Stadt liegen die Lebensmittel nicht bequem in Regalen bereit. Die Menschen hungern dort, nicht nur die Streuner, auch viele der Unabhängigen. Man kann verhungern, Ben. Und wenn man danach erwacht, sind Hunger und Schwäche nicht weg. Man läuft Gefahr, immer wieder zu sterben, und mit jedem Tod wird es schlimmer.« Sie sah erneut zu den beiden Wachen. »Vielleicht kann ich mich irgendwie an ihnen vorbeimogeln. Ich behaupte einfach, ich hätte Hannibals Erlaubnis.«
    »Du hast es im Wagen selbst gesagt«, erwiderte Benjamin. »Du nimmst niemandem etwas weg. Es ist nicht Hannibals Stadt. Der Supermarkt gehört ihm nicht.« Er nahm Louises Arm, und sie gingen langsam über den Parkplatz. Die beiden Wächter sahen ihnen entgegen.
    »Du kennst hier niemanden, Ben«, sagte Louise. »Du kennst auch mich nicht. Weißt du, manchmal, wenn wir einsam sind, klammern wir uns an etwas fest, einer Hoffnung, einer Illusion, die wir für Wahrheit halten.«
    »Ja?« Er forschte in ihrem Gesicht nach einem Hinweis darauf, was sie meinte.
    »Mir ist aufgefallen, wie du mich gestern angesehen hast, Ben.« Sie blieb stehen, zehn oder zwölf Meter vor der Barriere. Mehr kalte Regentropfen klatschten auf sie beide herab.
»Ich wollte dir nur sagen: Verrenn dich in nichts, Ben. Du suchst nach Halt in einer Welt, die dir noch völlig fremd ist. Und wenn du ihn bei mir suchst, könntest du schnell aus dem Gleichgewicht geraten.«
    Benjamin spürte, dass seine Ohren zu glühen begannen. Hoffentlich sah man es ihm nicht an. »Gestern Abend war ich betrunken.«
    Louise lächelte kurz. »Es war ein schöner Abend. Nach langer Zeit.«
    Der Trotz schlug tiefere Wurzeln in Benjamin, richtete sich nicht nur gegen Hannibal und seinen Herrschaftsanspruch, sondern auch – irgendwie – gegen ihn selbst. »Es ändert sich nichts. Ich helfe dir.«
    »Ich hab dich gewarnt, Ben. Mach mir später keine Vorwürfe.«
    Benjamin kannte die beiden Wächter an der Barriere nicht, aber sie kannten ihn.
    »Das ist der Neue«, sagte einer von ihnen.
    »Benjamin, nicht wahr?«, fragte der andere.
    »Ja. Wir möchten kurz in den Supermarkt.« Benjamin wollte weitergehen, aber der erste Wächter trat vor.
    »Louise gehört nicht mehr zur Gemeinschaft.« Er sah sie an. »Tut mir leid.«
    »Sie hat Hannibal etwas gebracht, das er für wertvoll genug hält, ihr einen Besuch im Supermarkt zu erlauben.« Benjamin wartete keine Antwort ab und trat, Louises Hand in seiner, an dem Wächter vorbei.
    Wenige Sekunden später öffnete sich die Glastür des Supermarkts vor ihnen, und gedämpfte Musik empfing sie. Nichts erinnerte mehr an die beim Kampf angerichteten
Schäden. Alle Scheiben waren heil, und die Regale standen, gut gefüllt, in Reih und Glied.
    Benjamin warf einen Blick über die Schulter. Draußen sprachen die beiden Wächter miteinander, und der eine zuckte die Schultern.
    Louise hatte es plötzlich sehr

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