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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Hannibal zu Louise. »Das weißt du doch. Und was dich betrifft, Benjamin … Du hast erneut gegen die Regeln verstoßen.«
    »Ich habe nichts mehr«, sagte Louise. »Dagos Leute haben mir alles weggeschnappt.«
    »Das ist dein Problem.«
    »Lass mir diesen einen Wagen. Oder wenigstens die Hälfte davon.«
    »Nein.«
    »So viel wie ich tragen kann, Hannibal. Mehr nicht.«
    »Du kennst die Regeln.«
    »Ich stehe mit leeren Händen da!«
    »Bring uns etwas, das einen Wert für uns hat. Hilf der Gemeinschaft, so hilft sie dir.« Hannibal nickte seinen beiden Begleitern zu. Einer von ihnen griff nach dem Einkaufswagen, und der andere löste Louises Hände davon, führte sie zur Tür und nach draußen.
    »Was bildest du dir ein?«, zischte Benjamin. Zorn brannte in ihm. »Du aufgeblasener Popanz!«, hörte er sich knurren. »Louise hat niemandem etwas getan, und sie nimmt niemandem etwas weg.«
    »Die Regeln müssen beachtet werden.« Hannibal sah an Benjamin herab. »Willst du mich schlagen?«
    Benjamin stellte fest, dass er die Fäuste geballt hatte. Die Intensität seines Zorns überraschte ihn. »Alle Menschen in dieser Stadt könnten ein leichteres Leben haben. Der Supermarkt bietet genug. Aber du gefällst dir in der Rolle des kleinen Königs.«
    »Wir sind nicht hier, damit wir ein leichtes Leben haben, Benjamin. Und du kennst die Stadt noch nicht gut genug,
um …«, begann Hannibal, aber Benjamin ließ ihn nicht ausreden.
    »Du hast Recht, die Stadt kenne ich noch nicht gut genug, aber ich kenne Leute wie dich. In meinem Leben bin ich Dutzenden von ihnen begegnet. Kleingeistige Borniertheit, die sich plötzlich in einer Machtposition wiederfindet und glaubt, andere Menschen mit ihrer vermeintlichen Größe beglücken zu müssen. Deine Regeln, die du dir sonstwo hinschieben kannst, dienen nur dazu, deine Macht zu sichern. Du …« Benjamin unterbrach sich, weil er plötzlich an Atemnot litt. Er schnappte nach Luft.
    Hannibals schmales Gesicht blieb unbewegt, als er den Zeigefinger auf ihn richtete. »Du solltest dir besser überlegen, was du sagst, wenn du nicht sofort deinen Platz in der Gemeinschaft verlieren willst.« Er gab den beiden jungen Männern ein Zeichen. Einer von ihnen brachte Louises Einkaufswagen weg, und der andere ergriff Benjamin am Arm. »Ich glaube, wir sollten ein klärendes Gespräch führen«, sagte Hannibal. »Aber nicht hier.«
    Er trat durch die Glastür in den Regen, und der junge Mann führte Benjamin ebenfalls nach draußen. Ich werde abgeführt, dachte er. Dies ist Hannibals Polizei.

24
    Das Büro war leer. Der in seine Stifte und ins Protokollbuch verliebte Jonas saß nicht an seinem kleinen Tisch in der Ecke, und Abigale wartete nicht am großen Schreibtisch in der
Mitte des Raums, wie Benjamin vermutet hatte. Wusste sie, dass er hier war?
    »Wer hat dir gesagt, dass ich Louise in den Supermarkt gebracht habe?«, fragte Benjamin. »So schnell wie du aufgekreuzt bist … Ich nehme an, einer der drei hat dir davon erzählt, nicht wahr? Kowalski? Nein, der interessiert sich nur für seine Berechnungen. Velazquez?«
    »Er scheint noch immer mit dem Bild beschäftigt zu sein, das er gestern Abend im Penthouse gemalt hat. Irgendetwas daran beunruhigt ihn, habe ich gehört.« Hannibal öffnete eine kleine Tür auf der rechten Seite. Benjamin bemerkte sie erst jetzt, weil sie hinter einem Vorhang verborgen war.
    »Also Katzmann«, sagte er und dachte: Vielleicht ist er doch ein Aufpasser.
    »Katzmann ist ein sehr pflichtbewusstes und zuverlässiges Mitglied der Gemeinschaft. Er hat sich von Anfang an um Positivität bemüht.« Hannibal machte eine einladende Geste, und Benjamin betrat das Nebenzimmer. Eine einzelne Glühbirne brannte dort an der Decke, umgeben von einem staubigen türkisfarbenen Schirm. Hinter dem schmalen trüben Fenster regnete es in Strömen. Dumpfes Rauschen kam von draußen, kroch durchs Zimmer und schien lauter zu werden, als Benjamin ihm lauschte. In der Ecke links neben dem Fenster stand ein hochlehniger Sessel, durchgesessen und staubig wie der Lampenschirm, darüber ein Regal mit einigen dünnen lindgrünen Büchern. Auf der anderen Seite, hinter einem kleinen Pult, hing eine mehr als zwei Meter lange Anschlagtafel an der Wand. Zahlreiche Nadeln steckten darin, mit grünen, schwarzen, gelben und grauen Köpfen und kleinen Namensschildern.

    »Du hingegen scheinst kein Interesse daran zu haben, das Gute in der Stadt zu mehren«, sagte Hannibal und schloss die

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