Die Stadt und die Stadt
werden, und das schnell und ohne Fragen. Tun Sie genau das, was ich sage. Ich möchte, dass Sie zur Kopula gehen.«
Ich schaute auf die Uhr, dann zum Himmel, der sich dem Morgen verweigerte. In ihrer jeweiligen Stadt waren Corwi und Dhatt auf dem Weg zur Grenze. Es war Dhatt, der zuerst anrief.
»Ich bin vor Ort, Borlú.«
»Können Sie ihn sehen? Haben Sie ihn gefunden? Wo ist er?« Schweigen. »Schon gut, Dhatt, ich verstehe.« Sein Anruf verriet mir auch ohne Worte, was er mir mitteilen wollte. »Wo sind Sie?«
»Ecke Illya und Suhash.«
»Heiliger, ich wünschte, ich wüsste, wie Konferenzschaltungen auf diesem Ding funktionieren. Makeln habe ich hingekriegt, also bleiben Sie in der Leitung. Ich bin gleich zurück.« Ich schaltete zu Corwi um. »Corwi? Hören Sie zu.« Ich hielt am Straßenrand an und verglich die Karte Ul Qomas aus dem Handschuhfach mit meiner Ortskenntnis als Bürger Besźels. Die Altstädte waren zum größten Teil deckungsgleich. »Corwi, gehen Sie zur ByulaStrász und ... und WarszaStrász. Sie haben die Fotos von Bowden gesehen, ja?«
»Ja ...«
»Ich weiß, ich weiß.« Ich fuhr weiter. »Wenn Sie nicht ganz sicher sind, dass er in Besźel ist, werden Sie ihn seiner Wege gehen lassen. Wie gesagt, ich möchte nichts weiter, als dass Sie spazieren gehen. Aber falls sich herausstellt, dass eine gewisse Person sich mit Ihnen in Besźel befindet, nehmen Sie diese Person fest. Akzeptabel? Seien Sie auf der Hut.«
»Vor was, Chef?«
Gute Frage. Bowden würde sich hüten, Dhatt oder Corwi anzugreifen: Automatisch wäre seine Tarnung dahin und er ein Straftäter in entweder Besźel oder Ul Qoma. Griff er beide an, wusste man, er war im Grenzbruch, von rechts wegen der Ort, an dem er sich jetzt schon befinden musste, doch dem Anschein nach hatte er für sich eine andere Lösung gefunden. Er bewegte sich mit einer ausgefeilten Balance, wahrscheinlich in beiden Städten. Schrödingers Fußgänger.
»Dhatt, wo sind Sie?«
»Mitte Teipei Street.« Teipei war reinräumlich deckungsgleich mit der MirandiStrász in Besźel. Ich sagte Corwi, wohin sie gehen sollte. »Ich bin auch gleich da.« Ich hatte den Fluss überquert und der Verkehr wurde dichter.
»Dhatt, wo ist er? Vielmehr, wo sind Sie?« Er berichtete. Bowden musste sich an deckungsgleiche Straßen halten. Setzte er den Fuß in ein totales Gebiet, gehörte er in die betreffende Stadt, und die dortige Polizei konnte ihn verhaften. Im Zentrum der Altstädte waren die aus Olims Zeiten stammenden Gassen schmal und verwinkelt und das Auto als Fortbewegungsmittel eher hinderlich, deshalb ließ ich es stehen und lief auf dem Katzenkopfpflaster von Alt-Besźel vorbei an den Mosaik-Arabesken und Kuppelbauten Alt-Ul Qomas. »Platz da!«, rief ich den wenigen Leuten zu, die mir in den Weg gerieten. Mit der einen Hand hielt ich das Petschaft von Ahndung hoch, in der anderen Hand hatte ich das Handy.
»Ich bin am Ende der MirandiStrász, Chef.« Corwis Stimme klang verändert. Sie wollte nicht zugeben, dass sie Bowden sehen konnte - indirekt, aus dem Augenwinkel -, aber da sie nicht mehr auf meine Richtungsangaben wartete, musste sie ganz in seiner Nähe sein. Wahrscheinlich sah er sie.
Noch einmal schaute ich mir Ashils Pistole an, aber ich kam nicht dahinter, wie der Mechanismus zu bedienen war. Ich steckte die Waffe wieder ein und machte mich auf den Weg dorthin, wo in Besźel Corwi wartete, Dhatt in Ul Qoma und wo Bowden einem nur ihm bekannten Ziel zuwanderte.
Dhatt entdeckte ich zuerst. Er war in voller Uniform, hatte einen Arm in der Schlinge, das Handy am Ohr. Ich tippte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. Er zuckte heftig zusammen, erkannte mich und schnappte nach Luft. Langsam klappte er das Handy zu und deutete mit den Augen in eine bestimmte Richtung. Dann musterte er mich mit einem Gesichtsausdruck, den ich, soweit ich mich erinnerte, bei ihm noch nicht gesehen hatte.
Der Blick wäre nicht nötig gewesen. In der kleinen Schar der Mutigen, die in unruhigen Zeiten wagten, auf den überlappenden, deckungsgleichen Straßen ihren Geschäften nachzugehen, fiel Bowden auf wie ein bunter Hund. Dieser Gang. Seltsam, befremdlich. Man konnte nicht genau beschreiben, was daran störte, doch auf jeden, der mit den traditionellen Eigenheiten Besźels oder Ul Qomas aufgewachsen war, wirkte er unspezifisch, beliebig, künstlich und heimatlos. Ich sah ihn von hinten. Er bemühte sich nicht um Unauffälligkeit, sondern marschierte mit
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