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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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pathologischer Neutralität die Straße entlang. Man konnte jetzt ausrechnen, was er wollte: hinaus aus den Städten, zur Grenze und sein Heil suchen im Rest der Welt. Eine Flucht, wie sie nur hier möglich war, auf Schusters Rappen, ohne Hast, vor aller Augen, doch nichtsehbar, selbst für Ahndung nicht zu fassen.
    Die Blicke Entgegenkommender trafen ihn, glitten ab, man schielte aus dem Augenwinkel, wusste nicht, wohin schauen. Ich zeigte auf die Leute, nacheinander auf jeden Einzelnen und wedelte mit der Hand: Weg!, und sie drückten sich in Läden, Hauseingänge, Seitengassen. Möglicherweise schauten Leute aus den Fenstern, aber das konnte man vernachlässigen. Ich näherte mich Bowden unter den ragenden Fassaden Besźels und den kunstvoll ornamentierten Dachrinnen Ul Qomas.
    Einige Meter von ihm entfernt stand Corwi und beobachtete mich. Sie steckte das Handy weg, zog dafür die Pistole aus der Tasche. Nach wie vor vermied sie es, Bowden direkt anzusehen, für den Fall, dass er nicht in Besźel war. Vielleicht wachte irgendwo das Auge Ahndungs. Bowden hatte sich bis jetzt nichts zuschulden kommen lassen, das nach Auffassung Ahndungs als Straftat anzusehen war.
    Ich streckte im Weitergehen die Hand aus, Corwi ergriff und drückte sie kurz, und für einen Lidschlag trafen sich unsere Blicke. Als ich vorbei war und noch einmal den Kopf wandte, sah ich sie dastehen, Corwi und Dhatt, reinräumlich fast Schulter an Schulter und doch, durch eine unüberwindliche Grenze getrennt, jeder in einer anderen Stadt. Sie vermieden geflissentlich, sich anzuschauen, aber beider Blicke folgten mir. Endlich war es richtig Tag geworden.
 
    »BOWDEN!«
    Er drehte sich um. Sein Gesicht war ernst. Angespannt. In einer Hand hielt er einen Gegenstand, dessen Form ich nicht erkennen konnte.
    »Inspektor Borlú. Dass wir uns wiedersehen ... hier.« Er versuchte ein Lächeln, doch es missglückte.
    »Wo ist hier?«, fragte ich. Er zuckte die Achseln. »Wirklich beeindruckend, was Sie tun«, bemerkte ich. Wieder zuckte er die Schultern, auf eine Art, die weder Besźel noch Ul Qoma war. Ein oder anderthalb Tage Fußmarsch lagen vor ihm, doch Besźel und Ul Qoma sind flächenmäßig kleine Länder. Er konnte es schaffen, seinen Schwierigkeiten einfach davonzuspazieren. Was für ein bewundernswert aufmerksamer Bürger, was für ein intimer Kenner der Städte und scharfer Beobachter, dass er diese Millionen unbewusster Manierismen verinnerlicht hatte, vollendet die Kunst beherrschte, in keins der beiden Verhaltensmuster zu verfallen. Er zielte mit dem Gegenstand in seiner Hand auf mich.
    »Wenn Sie mich erschießen, liefern Sie sich Ahndung aus.«
    »Falls man da ein Auge für uns erübrigen kann«, antwortete er. »Ich möchte wetten, Sie sind der einzige Vertreter dieser illustren Organisation, der mir die Ehre gibt. Nach heute Nacht wird man reichlich damit zu tun haben, Jahrhunderte an Grenzen wiederherzustellen. Und selbst wenn sie uns beobachten, was soll's. Begehen wir das eine Verbrechen, das Ahndung exklusiv interessiert? Wo bin ich? Wo sind Sie?«
    »Sie wollten ihr das Gesicht wegschneiden.« Dieser gezackte Schnitt unter dem Kinn hindurch. »Haben Sie ... Nein, es war ihres, es war Mahalias eigenes Messer. Dann haben Sie es doch nicht über sich gebracht. Stattdessen haben Sie versucht, sie mit dick aufgetragenem Make-up unkenntlich zu machen. Schwachsinn! Haben Sie wirklich geglaubt, das funktioniert? Was ist das?«
    Er zeigte mir den Gegenstand, ganz kurz, bevor er ihn wieder fest umschloss und auf mich richtete. Ein von Grünspan überzogenes Etwas, altersknorrig und unansehnlich. Es klickte. Es wurde von neuen Metallbändern zusammengehalten.
    »Es ist zerbrochen. Als ich.« Man hatte nicht den Eindruck, dass er weitersprechen wollte und nicht konnte. Er verstummte einfach.
    »... Mein Gott, das ist das Ding, mit dem Sie Mahalia erschlagen haben. Als Ihnen klar wurde, sie wusste, es ist alles Lüge.« Das Erstbeste gepackt und zugeschlagen, in einem Moment blinder Wut. Bowden konnte unbesorgt ein volles Geständnis ablegen. Solange er hüben wie drüben war und nirgends, konnte ihm kein Gesetz etwas anhaben. Ich sah, dass der Kolben des Dings, der auf ihn zeigte, in einer hässlichen scharfen Spitze auslief. »Sie nehmen das Ding, schlagen zu, sie fällt hin. Dann ...« Ich machte Bewegungen, wie jemand, der mit einem Messer zusticht. »Affekthandlung«, sagte ich. »Stimmt's?
    Wussten Sie nicht, wie man damit schießt? Dann

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