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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Doch wir verlangten, dass sie so taten als ob. Wir, und auch die Autoritäten Ul Qomas, erwarteten ein angemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit und dass unser deckungsgleicher Nachbarstadtstaat in keiner wie auch immer gearteten Weise zur Kenntnis genommen wurde.
    Während und weil Strafen für Grenzbruch hart sind, muss das Vergehen zweifelsfrei bewiesen sein. Wir alle vermuten, dass die Touristen im Alten Ghetto Besźels insgeheim Ul Qomas verglaste Yal-Iran-Brücke bewundern - anders als wir, die wir fast von Geburt an Experten in der Kunst des Nichtsehens sind. Zu den mit bunten Bändern geschmückten Ballons bei Besźels Windfeiertag-Parade aufschauend, können sie kaum vermeiden (wie wir es können), die hohen Zwiebeltürme von Ul Qomas Palastbezirk zu bemerken, dicht vor ihnen und doch ein ganzes Land weit entfernt. Solange sie nicht mit den Fingern zeigen und ihrem Staunen und ihrer Begeisterung lautstark Ausdruck verleihen (aus diesem Grund wird nur selten Personen unter achtzehn Jahren die Einreise gewährt), können alle sich vormachen, dass es keinen Grenzbruch gegeben hat. Diese Zurückhaltung ist es, die in der der Einreise vorangehenden Schulung angestrebt wird, weniger das uns eigene rigorose Nichtsehen, und die meisten Teilnehmer haben genug Grips, um das zu verstehen. Wir alle, Ahndung eingeschlossen, gestehen den Besuchern unseres Landes einen Vertrauensbonus zu, soweit irgend möglich.
    Im Rückspiegel sah ich, wie Mr. Gearys Blick einem vorbeifahrenden LKW folgte. Ich nichtsah ihn, weil er in Ul Qoma war.
    Seine Frau und er wechselten ab und zu ein paar halblaute Bemerkungen - entweder mein Englisch oder mein Gehör war nicht gut genug, um sie zu verstehen. Die meiste Zeit saßen sie stumm nebeneinander, jeder allein mit sich, und schauten der eine links, der andere rechts aus dem Fenster.
    Shukman war nicht in seinem Labor. Sollte man ihm zugutehalten, dass er sich selbst erkannte und wusste, dass er für trauernde Angehörige eine Zumutung gewesen wäre? Ich jedenfalls hätte in einer solchen emotionalen Ausnahmesituation nicht gern mit ihm zu tun gehabt. Hamzinic führte uns in den Kühlraum. Den Eltern entfuhr ein einstimmiger Wehlaut, als sie den Raum betraten und sie die stille Gestalt unter dem weißen Tuch liegen sahen. Hamzinic wartete in respektvollem Schweigen, während sie um Fassung rangen, und als die Mutter nickte, deckte er das Laken von Mahalias Gesicht. Wieder stöhnten ihre Eltern auf. Sie betrachteten die Tochter, und nach einer langen Minute streichelte die Mutter ihr Gesicht.
    »Ja. Ja, das ist sie«, sagte Mr. Geary. Er weinte. »Das ist sie, ja, das ist meine Tochter«, als hätten wir von ihm eine förmliche Identifizierung verlangt, was nicht der Fall war. Sie hatten ihr Kind sehen wollen. Ich nickte, als wäre die Aussage hilfreich für uns, und gab Hamzinic ein Zeichen. Er deckte die Tote wieder zu und machte sich diskret im Hintergrund zu schaffen, während wir Mahalias Eltern nach draußen führten.
 
    »Ich will nach Ul Qoma hinüber«, verkündete Mr. Geary. Ich war's gewöhnt, dieses hinüber von Ausländern zu hören, als ginge es nur darum, eine Straße zu überqueren. »Es tut mir leid, ich weiß, es ist vielleicht nicht ganz einfach, aber ich möchte sehen, wo sie ...«
    »Selbstverständlich«, sagte ich.
    »Selbstverständlich«, sagte Corwi. Ihr Englisch reichte aus, um dem Gespräch zu folgen, und gelegentlich warf sie ein Wort ein. Wir aßen mit den Gearys zu Mittag, im Queen Czezille, einem gemütlichen Hotel, mit dem die Polizei Besźels seit langem ein Abkommen hatte. Das Personal war erfahren in der schützenden, fast unmerklichen Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die bei unqualifizierten Besuchern unabdingbar ist.
    James Thacker, Mitte/Ende zwanzig, mittelwichtiger Beamter der Konsularabteilung der US-Botschaft, hatte sich zu uns gesellt. Ab und zu unterhielt er sich kurz mit Corwi in ausgezeichnetem Besź. Die Fenster des Speisezimmers waren nach Norden gerichtet, man hatte einen sehr schönen Blick auf die Spitze der Hustav-Insel. Flussboote glitten vorüber (in beiden Städten). Die Gearys stocherten in ihrem Fisch au poivre.
    »Wir haben uns gedacht, dass Sie den Wunsch haben werden, den Arbeitsplatz Ihrer Tochter zu besuchen«, sagte ich. »Wir haben mit Mr. Thacker und seinen Kollegen in Ul Qoma die Formalitäten besprochen, die erledigt werden müssen, damit Sie die Kopula passieren können. Einen Tag oder zwei, schätze ich, länger

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