Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
Tagen im Kessel erklärte Oberleutnant Conrady Folgendes: »Seit Mitte Januar wussten wir von der Hoffnungslosigkeit unserer Lage, verteidigten uns jedoch weiter, da unser Auftrag darin bestand, die russischen Armeen um Stalingrad möglichst stark zu binden und ihnen keine Möglichkeit zu geben, an einer weiteren Offensive teilzunehmen. Es war ein schweres Opfer, aber im Namen des Vaterlandes mussten wir es bringen. In der letzten Zeit hatten wir überhaupt keine Artilleriegranaten und Minen mehr, MG-Patronen waren jedoch genügend vorhanden. Die Verpflegung war ebenfalls miserabel – 100 g Brot, etwa 100 g Fleischkonserven und Suppe.
Nachdem Generalfeldmarschall Paulus am 31. Januar kapituliert hatte, war unser weiterer Widerstand absolut sinnlos. Einen Übergabebefehl an die Division gab es nicht, alles geschah spontan (bis zu einem gewissen Grad). Unser Stab war in den 10 Tagen bis zur Kapitulation an drei Orten untergebracht, insbesondere befand sich die Aufklärungsabteilung südlich der Traktorenfabrik, im Bereich des Hauptverbandplatzes der 305. I. D. Etwa um 7 Uhr morgens (Berliner Zeit) rollten drei russische Panzer vor das Haus, in dem wir untergebracht waren, und wir ergaben uns. Wie es sich in den anderen Divisionen verhält, weiß ich nicht. Nach der Übergabe wurden wir nach Orlowka gebracht, unterwegs plünderten uns die russischen Soldaten aus und nahmen uns alles weg, allerdings muss ich sagen, dass die russischen Offiziere dies verboten hatten, aber alle zu kontrollieren waren sie nicht imstande. Was hilft es: À la guèrre comme à la guèrre – »Krieg ist eben Krieg.«
Auf die nächste Frage, wie er die Stalingrader Operation einschätze, berichtete Conrady, dass viele Offiziere sie schon zu Beginn für ziemlich riskant gehalten hatten, da die Flanken des nach Stalingrad durchbrechenden Truppenverbandes entblößt waren. Zu Beginn der Operation konnte man sich damit noch abfinden, da man davon ausgegangen sei, Stalingrad äußerst schnell einzunehmen und nach Norden vorzurücken, etwa bis zur Linie Ilowlin […] (unleserlich, heute Ilowlja) – Wolga. Damit wäre eine durchgehende Front von der Wolga bis zum Don und weiter nach Westen geschaffen worden. Die hartnäckige Verteidigung Stalingrads durch die Russen habe eine andere Lage geschaffen, was letzten Endes zur Katastrophe geführt habe. […]
Als er die Stärke unserer Roten Armee beschrieb, bewertete Oberleutnant Conrady unsere Generalität sehr hoch, insbesondere den Marschall der Sowjetunion Schukow, der die Operationen im Süden leitete.
»Sie haben während des Krieges viel gelernt und sich als fleißige Schüler erwiesen.« Weiter befragt nach der Stärke des Widerstands der Roten Armee, sagte er Folgendes: »Die Truppen der Roten Armee leisten immer hartnäckigen Widerstand, aber einen besonders tapferen Gegner haben wir im August am Don im Kampf um Dobrinskaja vom 6. bis 10. August angetroffen. Es war die Krasnodarer Offiziersschule (Krasnodarer Militärakademie – Hauptmann Sajontschkowski), sie kämpften wie die Löwen. Als etwa 100 Mann von ihnen gefangen genommen waren, ließ sie der Divisionskommandeur General Janeke [745] antreten und sagte, er habe selten so tapfere Soldaten gesehen.« Die Truppen der einzelnen Waffengattungen charakterisierte Oberleutnant Conrady folgendermaßen: Die russische Artillerie und die Granatwerfer leisten sehr gute Arbeit, was die Luftwaffe betrifft, so ist sie schwächer als die deutsche. »Ihre Luftwaffe fügt uns wenig Schaden zu, selbst in der letzten Zeit war der Schaden durch die Luftwaffe gering.«
Auf die Frage nach den Kenntnissen der Aufklärungsabteilung und der Division über die gegen sie kämpfenden Truppen erklärte Conrady Folgendes: »Wir befanden uns immer in einer ziemlich schwierigen Lage: Die Hauptinformationen erhielten wir von Gefangenen und Überläufern. Wir hatten von Juni 1942 an ungefähr 30000 davon, 95 Prozent von ihnen sprachen von starker Antikriegsstimmung in Ihrer Armee – die Soldaten kämpfen nur aus Angst, im Land herrscht Hunger, in der Armee bekommen die Soldaten 4 bis 5 Tage lang nichts zu essen –, so entstand der Eindruck, als stehe Ihre Armee kurz vor dem Zerfall, andererseits erlebten wir den hartnäckigen Widerstand von Truppen der Roten Armee. Was ist los? Das ist für mich bis heute ein Problem. Ich bin sehr oft in eine dumme Situation geraten, wenn ich die Protokolle der Gefangenenverhöre dem General vorlegte. Er fragte
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