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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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Es geht in die City zur »Gallerian«-Passage. Nach einer Stunde kehren alle zum Auto zurück, nun mit Frau Wolf. Anschließend wird bis 14.10 Uhr im historischen »Stallmästaregården« getafelt. Um 15.20 Uhr sichten die Aufpasser die Gruppe am Norrmalmstorg.L. kehrt allein in die Botschaft zurück, Wolf schlendert um 16.10 Uhr im Kungsträdgårdsgatan herum, weiter durch die verwinkelte Altstadt Gamla Stan. Gegen 18.50 Uhr eilt L. allein zum Hotel »Reisen« in der Bredgränd, sammelt Gailat auf, beide fahren Richtung Alingsåsvägen, wahrscheinlich steigen die Wolfs unterwegs zu.
    Tolle Tage im dekadenten Westen. Mal kocht der Chef, lädt den geschmeichelten Statthalter ein. Mal tafelt die Runde, so L. im Schlemmerlokal »Gondolen«, Stadsgården 6. Die Gegenspionage guckt zu. Keine schlechte Wahl. Laut Reiseführer
Merian live
entschädigt exquisite Küche für die »hohe Preislage«.
    Das Ende der Dienstfahrt. Richter-Piper gibt am 3. Juli um 17.30 Uhr den Ford zurück. Auftrag erfüllt: Wolf und Gailat folgen am 4. Juli. L. hat »dunkel in Erinnerung«, die Strategen zum Flugplatz gebracht zu haben. An diesem Tag bot die SAS eine Maschine via Kopenhagen nach Ostberlin an: Abflug 12.45 Uhr, Ankunft in der DDR 15.45 Uhr. Ein neuer Triumph für den »spymaster«, tief im Feindesland? Ach wo. Die Woche hinter (weißen) schwedischen Gardinen entpuppte sich als grandiose Pleite. Der Maskenspieler ahnte vom eigentlichen Plot des Krimis nichts: Bei der Polizei lagen die Schnappschüsse der illustren Reisenden schon im Entwicklerbad.
    Die für Vollprofis provozierend dusselig eingefädelte Komödie der Irrungen überkreuzt sich mit einer Agentenstory der anderen Art. Zeitgleich bereitet in Ostberlin der Stasi-Oberleutnant Werner Stiller einen unheimlich starken Abgang vor. Mitte Januar 1979 flüchtet er durch den Bahnhof Friedrichstraße. Der Bundesnachrichtendienst schöpft die sprudelnde Quelle in einer konspirativen Wohnung in München-Solln ab. »Am 18. oder 19. Januar, nachmittags«, berichtet ein Teilnehmer, legten ihm Befrager die Stockholm-Bilder mit den unbekannten Stasi-Nasenvor. Acht perplexe Ohrenzeugen hören den Ausruf: »Das ist doch der Wolf!« Die Sensation war perfekt.
    Der »Spiegel« outet den Spionageboss am 5. März 1979 mit einem Foto auf dem Titel. »Vielleicht 25 Exemplare«, schätzt ein Ex-Offizier, kursierten bei der HVA, doch alle 3800 Mitarbeiter lasen die Wolf-Story mit. Sie ist noch druckfrisch, da befiehlt Berlin den Stockholm-Residenten unverzüglich zum Rapport. Anderntags sitzt er im Flieger. Er ahnt: Nach dem »üblen, schlimmen Verkehrsunfall« geht es um seine Existenz. »Mielke hat verrückt gespielt.«
    Sein Kollege Bohnsack würzt die Schilderung von Wolfs schwärzester Stunde mit feiner Ironie: »Es war ja eine Katastrophe, dass der große Meister enttarnt ist.« – »Furchtbare Erregung« in der Firma und unheiteres Beruferaten: »Wat wollte der Wolf in Schweden?« Doch fehlte es nicht an klammheimlicher Freude, weil ausgerechnet »die hohe Generalität« beim Versteckspiel »draußen« aufgeflogen war. Wer im Spionagemilieu geknipst wird, gilt als »verbrannt«. Der Blamierte (drüben prahlerisch als Luchs gezeichnet) könnte gar nicht anders, als mit seinem Fahrer »Fiete« zu scherzen: »Unter uns: So schlecht bin ich gar nicht getroffen.«
    Die Suche nach Schuldigen beginnt. L. zuckt die Schultern, erklärt in müdem Ton: »Ich habe bis heute keine Ahnung, wie’s auffliegen konnte.« Zumal es im Stasi-Apparat laut Kennern allenfalls »sechs bis sieben« Mitwisser gab. Jahrelang habe ihn die Sache beschäftigt, es blieb schleierhaft, wer den Spezialcode knacken konnte. Zum Glück weiß er nicht, wie nah ihm der Säpo-Informant kam. Behaft et mit dem Makel des Versagers, muss L. »mehrere Berichte« schreiben, wird »zigmal« befragt, speziell zu einer »jungen, blonden Reinigungskraft«. Die Schwedin wird des Verrats verdächtigt. 1979 ruft die HVA ihn endgültigheim, aus Angst davor, der Westen könnte sich an den Düpierten heranmachen. Im realen DDR-Sozialismus schwärmte er still von Königin Silvia, die er in Vertretung des Botschaft ers bei Hofe kennenlernte.
    Was ihm, zuletzt Oberstleutnant mit einem Jahresgehalt von 32 353,57 Ostmark, den Kopf rettete, weiß niemand genau. Die lange Wegstrecke mit Wolf? Der mag vielleicht daran gedacht haben, wie er ihm im Mai 74 persönlich die Mehring-Ehrennadel anheft ete und dass der Getreue danach zum Herrscherlob anhob.

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