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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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erster Stelle der Verdammten kommt Charly.
    Tatsächlich steht er in dem »Geheim« gestempelten Dossier 58/91 des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV): »Betrifft: Seit der Wende sind zahlreiche ehemalige Angehörige der DDR-Nachrichtendienste mit Verfassungsschutzbehörden in Verbindung getreten.« Einer der 15 Genannten: »Karl Großmann«. Vermerk 72 für den Generalbundesanwalt präzisiert, er habe eine »Vielzahl von zutreffenden Hinweisen« gegeben, so dass keine grundsätzlichen Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit bestünden. Hüben erhält Charly das Pseudonym »Kardinal«. Kardinäle sind Führungskräfte.
    Drüben kannte sich die Dienstnummer 005280 mit Falschnamen eh bestens aus. Großmann gehörte zum Stasi-Inventar. Er verhehlt nicht, dass er einst im Mai 1955 zukunftsfroh in den Apparat einrückte. Als junger Mensch brannte er für die Idee »einer gerechteren Gesellschaft«: »Wir glaubten aus Überzeugungan das Neue.« Zuvor Bohrmeister bei der Wismut AG, ergriff das Arbeiterkind die Aufstiegschance, fand er »mit ein bisschen Abenteurertum« über die Volkspolizei zum MfS: Die Karriere katapultierte ihn vom Hilfssachbearbeiter in die Führungskaste. Zuletzt hatte er sagenhafte 3600 Mark im Monat und zwei Fahrer. »Ich war sehr erfolgreich. Die Arbeit hat Freude gemacht.«
    Aus dem Büro im 7. Stock sah er halb rechts Markus Wolfs Räume. Im heißen Zentrum der »Äußeren Spionageabwehr« bürgte Großmann für Spektakuläres. Laut Kaderakte besticht der »ehrliche, zuverlässige, der Partei treu ergebene Genosse« durch »hervorragende Ergebnisse«. Nur wenige konnten ihm das Wasser reichen. Beförderungen für »vorfristiges« Erfüllen des Plansolls, konkret: die »Schaffung einer Quelle in einem militärischen Spitzenobjekt« der BRD. Mit übergroßer, theatralischer Unterschrift befürwortet HVA-Boss Markus Wolf 1978 den »Kampforden um Volk und Vaterland in Gold« für Charly. Durch persönlichen Einsatz sei es erneut gelungen, »in ein wichtiges Feindobjekt einzudringen«. 1983 höchstes Lob für »wichtige Positionen im feindlichen Lager«, unter seiner Leitung installiert. Der Mann für schwierige Fälle düste mit der Kuriermaschine zum KGB-Chef nach Moskau, setzte bei sich »die Risikoschwelle hoch an«, stellte »Mut unter Beweis«. Er trieb sich auf Mission im Westen herum, warb sogar im Herzen der Finsternis, in Bonn, um Spione: »Wir hatten Bombenquellen. Da warn schon Persönlichkeiten darunter.«
    Ein Ehemaliger charakterisiert Großmann mit Achtung in der Stimme: »Kein Stubenhocker, ein Frontschwein«. »100 bis 200« Informanten im Operationsgebiet hingen an Charlys Angel. Wenn Wissen Macht ist, dann war er mächtig. Von seiner Truppe gedungene Agenten wie »Blitz« und »Paul« lauschten bei denUS-Abhörspezialisten auf dem Berliner Teufelsberg: »Das war ein teures Ding für uns.« Nach der Rekrutierung stieg eine Party. 25 Auszeichnungen honorierten Raffinesse und Verwegenheit des »Verdienten Mitarbeiters der Staatssicherheit«. Da ließ sich übersehen, wie ruppig die Supernase sein konnte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, den Kleinwüchsigen im Ehrgeiz zu unterschätzen. Erich Honecker behängte ihn mit dem Vaterländischen Verdienstorden. 1980 sei’s gewesen. Charly deutet mit dem Finger aus dem Fenster: »Drüben im Staatsrat.« Das Foto zeigt ihn steif vor Stolz, »die drei Pickel« für Obristen glitzern auf der Uniform.
    Das Telefon läutet. Er fragt: »Ja, bitte?«, meldet sich nie mit Namen. Mit dem gleichen konditionierten Reflex hält Charly Biographisches verschattet, wiegelt am liebsten ab: »Weiß ich nich’ mehr.« Angebote, die eigene Story aufzuschreiben, schlug er aus: »Was soll das bringen?« Dabei steckt in ihm ein Roman. Der Meister rasch wechselnder Identität erhielt als geheimer Mitarbeiter (GM) 1953 zuerst den Decknamen »Spitzberg«. Draußen agierte er mit dem auf »Karl Franke« laufenden Diplomatenpass. Seinem Spionage-Ass Klaus Kuron, bis zur Verhaftung Oberamtsrat beim Kölner Verfassungsschutz, trat er als »Karl« gegenüber. Oder die Legende »Generalbevollmächtigter der Interhotels« verschleierte die wahre Profession. Intern hieß er »Carlo«. Mit 39 avancierte er zum jüngsten Obristen. Der Westen hatte keinen blassen Schimmer von dem gefährlich-ruhelosen Gegenspieler.
    Als der Oberst 1990 beim Bundesnachrichtendienst (BND) auspackte, reiste er unter eigenem Namen nach München. Auch wenn er angibt, die Kameraden von

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