Die Stasi Lebt
Vielleicht rettete ihn auch das gemeinsame Geheimnis, dass Wolf in acht Stockholm-Tagen allenfalls drei Stunden dem Agenten Cremer widmete. Das Resümee der Gegner lautete vielsagend, er habe seine Arbeit durch Besuche »erlesener Restaurants und ausgedehnte Einkaufsbummel abgerundet«. Es sei ziemlich ungewöhnlich, einen Treff dermaßen üppig »abzutarnen«. Wolf linderte die eigene Schmach, indem L. ungeschoren blieb. Der Offizier wird zu einem Buch über den Stasi-Pionier Robert Korb verdonnert. Mischa steuert zum Parteichinesisch fünf Seiten »Geleit« bei, ein schöner Beleg, wes Geistes Kind er ist.
Wie es mit den ausgetricksten Tricksern weiterging? Absteigende Lebensläufe, gebrochene Biographien: Die flüchtige Begegnung mit Wolf bringt – ein deutsch-deutsches Schicksal – dem SPDler Cremer zweieinhalb Jahre Haft wegen »geheimdienstlicher Agententätigkeit für die DDR« ein. Nach 14 Monaten wird er be gnadigt, politisch war der Abgeordnete tot. Das im Mai 80 ergangene Urteil 3 St 11/79 trägt bis heute den Sperrvermerk »VS-Vertraulich«. Anstift er Richter alias Piper starb nach der Wende, die wahre Identität ist »nicht mit Sicherheit« ermittelt. Resident L. lebt und lamentiert über die für Stasi-Kader reduzierte Rente.
Generaloberst Wolf (zu dem er in deprimierender Treue hält) ist längst von der Reisefee Christel geschieden; sie betreibt eine Schneiderei in Berlin. Seine
Erinnerungen
spielen die dramatische Schlappe auf vierzig Zeilen herunter, ein Hinweis, wie sehr den Schachspieler die verlorene Partie wurmt. Dem Residenten dankt er für »so vorbildliche Betreuung«. In den Augen des Westens entzauberte Schweden den gefürchteten Magier, zeigte die trivialen Seiten eines Scheinriesen: Hüben und drüben – nie mehr war es für ihn wie vorher. Die BRD-Dienste strichen nicht ungern den Ruhm für den Schlag gegen den Erzfeind ein.
Der Schwede, vor dessen Linse der Wolf tanzte, erhielt weder Prämien noch Orden. Die Bilder seines Lebens vergilben in Kuverts mit dem roten Stempel »Geheim«.
Das Porträt eines Geächteten
Die Beichte des »Kardinals«
Karl-Christoph Großmann war einer der Besten aus der Spionagetruppe von Markus Wolf. Nach der Wende packte der Oberst im Westen aus. Dafür hassen ihn jetzt die alten Kameraden. Die Beichte des »Kardinals«.
Wie Karl-Christoph Großmann zum »Verräter« wurde, darüber gibt es viele Geschichten. »Keine stimmt«, giftet der frühere Stasi-Oberst. Seine unruhigen Hände spielen daheim am Couchtisch mit der Schnupftabakdose, er nimmt eine Prise, schneuzt, legt los: »Alles Lügen! Passen se uff, es war so.«
Zögerlich hatte uns der Mann, den sie bei der »Hauptverwaltung Aufklärung« (HVA) »Charly« nannten, in der Berliner Zwei-Raum-Wohnung empfangen: Plattenbau, 10. Stock, Nummer 08. Ungnädig raunzte der 69-Jährige zuvor am Telefon: »Ham’ se schon mal einen fairen Journalisten gesehen?« Großmann sitzt im Fernsehsessel vor einer leeren Tasse, daneben liegt »Focus«: »Hat mir Markwort geschickt.« An der Wand blüht üppig ein Blumenstillleben. Eulen, Symbole der Weisheit, starren von der Kommode. Akkurat ausgerichtet die Zinnbecher-Sammlung, alles aus besseren Zeiten. Hysterisch fegt Dackel »Cherry« durch den Raum, kein Vergleich mit dem auf Porzellan gemalten »Buffi«, der sofort ins Auge fällt: »Das war ein Jagdhund, sag ich Ihnen.«
Unter Mufflon-Geweih und anderen Erinnerungsstücken bewegt sich der frühere Vizechef der Abteilung IX, Gegenspionage, in grüner Strickjacke, Breitcordhose, farblich abgestimmtemHemd, solide und situiert. Nur die Puschen stören den Eindruck des Zünftigen. Spannung, nichts Schwaches ist dem Pensionär ins Gesicht geschrieben, obwohl der schlohweiße Haarkranz die ihm von Kollegen zugeschriebene Härte mildert. Auf den ersten Blick ein sehr waches, lauerndes Gegenüber.
Die Hassfigur der Stasi hatte man sich irgendwie anders vorgestellt. Immerhin verfluchen die alten Kameraden Charly wie keinen Zweiten. Sie schimpfen: Judas, käuflich, Element des Gegners, werfen ihm vor, zur Wendezeit gegen dickes Geld nebst kleineren Lichtern die Top-Spione Gabriele Gast und Klaus Kuron im Westen verpfiffen zu haben. Beide erhielten Freiheitsstrafen von sieben und zwölf Jahren. Kein Treffen der Unverbesserlichen aus Mielkes Verein, ohne dass sie von der Frage der Ehre schwadronieren, Verwünschungen bis hin zu Drohungen gegen Großmann ausstoßen. Trotz weiterer Überläufer – an
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