Die Stasi Lebt
eine Tour von drei Stunden. Die Passage mit der Viking Line über den Meerbusen nach Schweden dauerte weitere sechs Stunden. Ankunft der letzten Verbindung in Kapellskär: 20.15 Uhr. Mit zwölf Grad war es für die Jahreszeit zu kalt. Das passte »zur Abendstimmung«, von der L. in der Rückschau spricht. Sie prägte sich ihm besser ein als der Schiffsname
Aurella,
der ihm entfallen ist. Wer den strapaziösen Seeweg wählte, hatte Gründe, den neunzigminütigen Kurzflug Ostberlin–Stockholm zu meiden: Sonntags hob 11.10 Uhr eine Maschine in Schönefeld ab.
In seinen Kreisen gilt der Resident, Jahrgang 32, als »gründlicher Auswerter«. Kollegen ergänzen die Beurteilung mit dem Zusatz »Umstandskommissar«, fürchteten ihn als Fahrer, der auch mal falsch herum durch Einbahnstraßen düste. »OperativeSchwächen« empfahlen ihn nicht uneingeschränkt für den heiklen Job. Indes zählte er seit 1955 zu den gusseisernen Weggefährten des ominösen »Dr. Kurt Werner«.
Ehe er schwedischen Boden betrat, irrlichterte Wolf als »mysteriöseste Figur der europäischen Geheimdienstszene«
(Spiegel)
durch die Presse. Schon zwanzig Jahre führte er die 3800 Mann starke HVA, befasst mit »Auslandsaufk lärung, Gegenspionage, aktiven Maßnahmen«, was immer das bedeutete. Der Klassenfeind kannte nur den Namen, hatte aber kein einziges Bild von ihm: »The man without a face.« Thrillerspezialist Eric Ambler hätte den unsichtbaren Lenker vielleicht so charakterisiert. »Kühl und sachlich; von den Gefühlen Sterblicher nicht berührt.« Der Spukgestalt aus den Alpträumen westlicher Dienste eilte die Aura des Alleswissers voraus. Man glaubte fast, er könne durch Wände gehen. Im unsichtbaren Netz der schwedischen Sicherheitspolizei Säpo verfängt sich also ein Phantom. Freilich kein 007, wäre der volkseigene James Bond sonst gradewegs in eine Falle getappt?
Die spektakuläre Operation Feldtaube gegen den übergroß stilisierten Mischa unterliegt bis heute höchstem Geheimschutz; sie wird hier erstmals anhand der Akten rekonstruiert. Kaum zehn Eingeweihte kennen die Details der überaus brisanten Geschichte. Kein Wunder, dass fast alles, was bisher darüber kursiert, nicht stimmt. Meist bleibt es bei bloßen Spekulationen, warum der Dunkelmann hoch im Norden enttarnt werden konnte und dabei sein Gesicht verlor.
Daheim schallte aus dem »Neuen Deutschland« just ein »Herzliches Willkommen in der DDR für Oberst Muammar al-Gaddafi«. Die Schweden freuten sich auf die »Industrieferien«. Vor der Insel Bjurö lief das russische Kreuzfahrtschiff
Mikhail Kalinin
auf Grund. Das waren die Schlagzeilen, als der Wolf sichweit aus dem Bau wagte. Militärischem Usus entsprechend, ist der Vizeminister für Staatssicherheit Tag und Nacht beim Vorgesetzten »abmeldepflichtig«. Also war auch Genosse Mielke in die Haupt- und Staatsaktion eingeweiht.
Dem Boss reist ein »Ehepaar Piper« voraus. Die Dokumente von Ehemann Horst laufen auf die Adresse »1 Berlin 48, Waldsassener Straße 25«: Fernmeldemonteur, 176 cm, Augen blau, Kennzeichen keine. Am 26. Juni leiht er am Stockholmer Flughafen Arlanda einen Ford Fiesta, Kennzeichen ETB 730. Piper stellt sich als »Dr. Hans Richter, Mitarbeiter des Aufbau-Verlags« vor. Natürlich frei erfunden. Er arbeitet für die Stasi und fädelt den Kontakt zu dem SPD-Politiker Cremer ein.
Das Gipfeltreffen komplettiert Oberstleutnant Dr. Kurt Gailat, laut Mobilisierungsliste in Berlins Auguststraße 10 zu Hause. Diesmal nennt er sich Dr. Kurt Lenkeit, ebenfalls mit dem schützenden roten Diplomatenpass – Jargon: Rotpass – anstelle des blauen DDR-Ausweises unterwegs. Er ist der spätere Kopf der Abteilung A II, »Aufk lärung der Organisationen in der BRD«. Das klingt theoretischer, als es war. Das Objekt seiner Begierde hieß SPD. Den Laden kannte er besser als Willy Brandt. 1981 schließen er und Wolf den abgeschobenen Kanzlerspion Günter Guillaume in die Arme. Bei Laune erzählte Gailat in pommersch gefärbtem Dialekt, welche Anträge seine Perspektivagenten just auf SPD-Parteitagen gestellt hatten.
Der Begleiter kommt, getrennt von Wolf, im Stockholmer Vorort Lidingö unter, Haus Odalsvägen 2. Bei Gailats Identifizierung liegen die Bonner Auswerter falsch. Die graue Eminenz wird bis heute in den Topsecret-Papieren mit Wolfs Stellvertreter Werner Grossmann verwechselt. Die Analysen ignorieren, dass Mielke die beiden HVA-Führer nie gleichzeitig hätte west-wärts ziehen lassen.
Ehe L. für
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