Die Stasi Lebt
schneiden lassen. Sein Fimmel ließ die Schnüffler der Gegenseite prompt auf eine Führungskraft tippen.
Die vom Ersten Sekretär befehlsgemäß arrangierte Unterbringung im Alingsåsvägen erwies sich als schwerer Regiefehler. Mangels Techniker entfiel die Überprüfung auf Abhörwanzen. Die Ausspähung des Objekts, die Geschäftigkeit, die ganze Inszenierung konnte der Polizei nicht entgehen. Sonst verschwanden Stasi-Kundschafter in der Anonymität von Massenquartieren wie dem 225-Zimmer-Hotel »Birger Jarl« Tulegatan 8. Eine persönliche Empfehlung des Skandinavien-Kenners Oberst Günter Müller bei der Koordinierungsstelle (KOST). Aus seinem Giftschrank stammten auch die Operativpässe.
Vorsicht, Kamera: Das Wolfs-Rudel hing von der Ankunft bis zur Abreise am unsichtbaren Faden von »mindestens fünf Observationstrupps à vier Mann«. »Nahezu ununterbrochen unter Kontrolle gehalten«, lautete ihre Bilanz. Die Überwacher schossen etwa am Hötorget-Markt mit dem Zweihunderter-Teleobjektivherrliche Schwarzweißsequenzen. Nur am 28. Juni fiel laut Protokoll »keine Beobachtung« der ertappten Heimlichtuer an. Am 29. dagegen Ausflug zum nahen Ferienhaus, aufmerksam registrierten die Verfolger den Wechsel auf den grünen Miet-Volvo. Gailat und die Wolfs stiegen ein. Die Fahnder notierten die Fahrzeit von einer halben Stunde: »Ankunft in den Schären 14. 20 Uhr.« Es ist der dritte Tag in der Fremde. Der treue Vasall L. meint, abends habe es zwischen den Wolfs geknirscht, weil Mischa für Christels Geschmack zu viel rauchte.
Ihr Mann läuft den Agentenjägern zuerst wie ein Handelsreisender ins Bild: gediegener Einreiher, überlanges Sakko, weißes Hemd, Schlips. Die Gemahlin im hellen Blazer. Bei anderer Gelegenheit streift der Ahnungslose leger durch die Metropole. Mit einer Kamera bewaffnet, geht er fleißig auf Motivsuche. Aufnahmen zeigen den gut erhaltenen 55-Jährigen mit umgehängtem Apparat. Obwohl zurechtgemacht im Freizeit-Look – Pulli, offener Kragen (aber verschlossenes Gesicht) –, ist etwas unangenehm Metallisches an Wolf, wenn er auf den beflissenen Sekundanten herunterguckt. Mit solch finster eingefärbtem Charme mag der General sonst im Büro die Meldung der Wache entgegengenommen haben: »Genosse Minister, keine besonderen Vorkommnisse!« Witternd hebt er auf einem Polizeifoto den Kopf. Beim Essen habe Wolf von dem Eindruck gesprochen, aufgenommen worden zu sein, rekapituliert L. Womöglich die branchentypischen Verfolgungsphantasien. Am Fahrplan der Stasi-Connection änderte das nichts.
Notizen vom 30. Juni. Die Fahnder sind »nicht durchgängig« hinter ihm her. »Dr. Werner« treibt sich am Hauptbahnhof herum. Abends betreten die Wolfs einen bekannten »Live-Klub«, L. hat den Schuppen ausgesucht: die zentral gelegene »Chat Noir«, Schwarze Katze, Döbelnsgatan 4; geöffnet von 20 bis 3 Uhr. Inserateim
Expressen
dürften ihn animiert haben, die mit »Sommersax i världsklass« lockten, Sommersex der Weltklasse. Die Parole des eindeutig zweideutigen Etablissements: »›Chat Noir‹ zeigt, wie man liebt, dafür lieben alle Chat noir.« Für 225 Kronen Abendgage boten Stripperinnen den ideologisch gefestigten SEDlern reichlich Leibesübungen.
Der 1. Juli, trocken, bewölkt, schwacher Wind. Waren die Helden vom Dolce Vita etwas müde? Wieder Sichtkontakt, wieder kein Problem, ihnen auf den Fersen zu bleiben. Früh um 8.45 Uhr starten L. und Gailat mit dem Volvo von Alingsåsvägen 40 stadtwärts in die Vasagatan. Gailat steigt aus. L. fährt kurz weiter, hält, wartet 15 Minuten, ehe er südwärts abhaut: typische Ablenkungsmanöver, übertriebene Theatereffekte, bevor sich im Hin und Her jetzt das Puzzle planmäßig zusammenfügt. Parallel dazu bringt Führungsoffizier Piper endlich den SPD-Politiker Cremer vom »Sheraton«-Hotel in die Wohnung zum wartenden Spionagechef. Unter den Augen der Säpo bewegt sich eine schöne Gesellschaft. Dr. Werner alias Wolf, Dr. Lenkeit alias Gailat, Richter alias Piper. Der einzig Wahre im Kreis falscher Fuffziger ist der Sozi Cremer. Ehefrau Christa serviert beim Meeting Getränke, zieht sich diskret zurück. Das erste Gespräch dauert von 9.30 bis 11.30 Uhr.
Für den Sonntag, 2. Juli, vermerken die Protokollanten Romantisches: »Bootsfahrt zu den Schären«. Am 3. Juli begibt sich Wolf zur Tarnung frühmorgens in die DDR-Botschaft, entsprechend dem Visum ja sein offizielles Reiseziel. 11.58 Uhr: Er kommt mit Gailat aus dem Haus, steigt in den Wagen.
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