Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
Vom Netzwerk:
und Abenteuer mit dem gewissen Tick ins Phantastische. Peters liebte diesen weißen Riesen, stampfte mit Dienstgeschwindigkeit 18 Knoten um den Erdball: »Der Höhepunkt meiner Laufbahn.« Der Prestigejob beförderte die Karriere, mochte es Kollegen auch »vor dem Musikdampfer« und der erhöhten Verantwortung grausen, Peters: »Mit der Porzellanfuhre durfte ja nichts passieren.«
    Der vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, FDGB, 1960 für 16,2 Millionen Mark gekaufte Gigant schipperte, ideologisch schwer beladen, über die Meere. Rein technisch ein 12 442-Brutto registertonner, mit achtzylindrigen Dieselmotoren und unheimlicher Vergangenheit. 1948 in Göteborg auf den Namen
Stockholm
getauft, kollidierte er in der Nebelnacht vom 25. Juli 1956 vor New York mit der
Andrea Doria.
Fünfzig Menschen fanden den Tod. Kaum glänzte das dem Internationalismus geschuldete Wort Völkerfreundschaft am Bug, jubelten Parteitenöre enthusiastisch, das sozialistische Wertesystem könne »von keiner Macht der Erde mehr erschüttert werden«. 218 593 Privilegierte, Reisekader, aber auch normale Ossis sahen bis zur »Außerdienststellung« 1985 Kuba, Ostsee, Schwarz- und Mittelmeer, intonierten fleißig: »Unsere Braut ist die See / ich schiffe mit dem FDGB.«
    Wer immer in der Großen Mutter Partei der Vater des Gedankens war, die Idee schien genial: Superkreuzer galten als Sinnbild für Optimismus, Technizität – verführerisches Symbol also für ein Land, das bei Wind und Wetter Fahrt machen wollte. Stramm auf SED-Kurs segelnd, gaukelte der Koloss ein Wir-Gefühl im damals »Sowjetzone« genannten Osten vor. Saßennicht alle in einem Boot, konnten sich den klassenlosen Liner leisten? Der glitt wie ein Phantom durch die Planspiele der Arbeiter-und-Bauern-Macht. Zuvor hatte die schwedische Amerika-Linie auf ihrem Prunkstück Auswanderer nach Kanada oder Australien befördert und im Übrigen nur »Barone, Komtessen, Bankiers, Generaldirektoren, Diplomaten, Konzernherrn, Millionäre« spazieren gefahren. So las sich die kolportagehafte Historie bei den SED-Lyrikern. Pro Tag kostete ein Platz an der Sonne auf der
Stockholm
125 bis 185 Mark. Streng handverlesene DDRler, Werktätige, Drahtzieher und Prominente zahlten für den 14-Tage-Törn Rhodos, Athen, Konstanza nur 250 Ostmark. Dafür konnten sie durch Feldstecher, Tagesleihgebühr fünfzig Pfennig, Himmel, Horizonte und greifbar nahe Küsten des Westens betrachten. In der Bar konnte man – am Rotkäppchen-Schaumwein nippend, die Flasche zu 40 Mark – insgeheim von der großen Freiheit träumen. Offiziell war das bei Strafe verboten. Indes brechen im Meer des Unbewussten Schiffe zu neuen Ufern auf, meinen Psychoanalytiker.
    Vom ersten Tag an verriet die nautische Demonstration jenen Minderwertigkeitskomplex, den die
Völkerfreundschaft
eigentlich decken sollte. Die maritime Größenphantasie (Jargon: »V1«) basierte auf traumatischen Erfahrungen der jungen DDR: Außerhalb des Eisernen Vorhangs galt Ulbrichts Reich nichts; das Schiffhatte anstelle des Klabautermanns das Gespenst der Bedeutungslosigkeit an Bord. Der am 4. Januar 1960 im
Neuen Deutschland
veröffentlichte Bericht über die international beachtete Übernahme des Motorschiffs am Geburtstag Wilhelm Piecks bot alle Signalwörter, die das isolierte, fragile Gebilde aussenden wollte. Es heißt, über dem Stockholmer Amerika-Kai habe neben den Farben Schwedens »die Staatsfahne der DDR« gehangen, eine Kapelle habe »unsere Nationalhymne« gespielt:»Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt«. 12 000 PS zogen nun die Flagge mit Ährenkranz, Hammer und Zirkel über die Meere, durch die Jahre. Eine Botschaft für den Rest der Welt, daß es neben Adenauers Land auf deutschem Boden noch etwas anderes gebe. Die vertrauliche Order S 80/60 regelte sogleich: Für die Auslandspropaganda sind mehrsprachige Werbemateralien herzustellen.« Trotzdem gibt’s dazu im Westen nichts Neues, nur die freche Überschrift:
KdF-Schiffe für Pankow,
die eine Anlehnung an die Nazi-Zeit konstruierte. Die New Yorker
Daily News
fragten, ob die Russen dank der
Völkerfreundschaft
»nicht eine bewegliche Spionagebasis für Operationen direkt an unseren Küsten« erhielten, und die Amis versauten den Ossis manches Geschäft, ließen sie einfach nicht andocken.
    Das Kommando übernahm zuerst Genosse Kapitän Alfred Zinn. Zu Gründerzeiten stach er mit dem Frachter
Vorwärts
in See. Mit seiner Biographie kam er stark dem in der Seemannsordnung

Weitere Kostenlose Bücher