Die Statisten - Roman
sich direkt vor seiner Nase abspielte.
Es war schwer für Parvati-bai, mit ansehen zu müssen, wie ihr Sohn sich quälte. Sie selbst hatte sich den Luxus der Selbstbetrachtung nie leisten können. Immer und immer wieder hatte sie Ravan gesagt, dass seine Selbstvorwürfe und SelbstgeiÃelungen ihm absolut nichts einbrächten. Er war ein guter Junge; er hörte ihr zu. Doch sie ahnte, dass er nichts daran ändern konnte. Er war das Opfer, nicht der Gestalter seines Schicksals.
âÃberlegst du dir ernsthaft, die Religion zu wechseln?â, fragte sie Ravan, als sie sah, wie er das Priestergewand anzog.
âIch überlege es mir nicht. Ich habe Jesus gefunden, und in meinem Herzen bin ich bereits Katholik. In ein paar Monaten, wenn meine Studien bei Pater Agnello abgeschlossen sind und er mich für würdig befindet, ein wahrer Jünger Jesu zu sein, werde ich getauft.â
âTief in dir drin, verspürst du da wirklich den Ruf von diesem Jesus?â
âJa, das tue ich. Sobald die Kirche mich aufgenommen hat, werde ich das Keuschheitsgelübde ablegen und Priester werden.â
Parvati-bai blieb eine Weile stumm. Dann sagte sie etwas, was ihren Sohn hochgehen lieÃ: âGeht es um dieses Mädchen über uns? Hoffst du, sie zu gewinnen, indem du zu ihrer Religion übertrittst?â
âWie kannst du nur etwas so Oberflächliches denken? Zu unserem Herrn Jesus Christus zieht es mich hin â nicht zu dem âMädchen über unsâ, wie du sie nennst!â
Parvati ignorierte den Ausbruch ihres Sohnes. âSo kannst du sie nicht erobern, Ravan. Sie ist viel zu gescheit, um anzunehmen, du würdest so etwas tun, um ihr deine Liebe zu beweisen.â
Als Eddie eines Abends spät von der Arbeit heimkam, wartete Belle auf ihn.
âWas tust du hier um diese Uhrzeit? Ist alles in Ordnung?â Eddie wurde die Dämlichkeit seiner Frage noch im selben Augenblick klar. Was sollte sie zu so später Stunde wohl vor seinem Haus tun, wenn nicht wirklich etwas ganz und gar nicht in Ordnung war?
âMit mir ist alles okay.â
âNein, ist es nicht.â Es war weit und breit niemand zu sehen. Er nahm sie in seine Arme und gab ihr einen langen Kuss. âSollen wir irgendwohin, wo wir in Ruhe reden können? Chowpatty Beach?â
âNein, setzen wir uns einfach hier auf die Treppe.â
Sie klang erschöpft und gereizt und legte den Kopf auf seine Schulter. Eddie musste am nächsten Morgen spätestens um acht zu einem Dreh im Nationalpark in Borivali sein, aber er wollte sie nicht drängen.
âIch stelle dir jetzt eine blöde Frage. Wirst du sie mir ehrlich beantworten?â
âSapna-ji hatte irgendwie auch ihre guten Seiten. Durch sie habe ich begriffen, wie sehr ich dich liebe. Und ich hab mir eines geschworen: Ich werde dir nie wieder Lügen erzählen, nicht einmal Notlügen.â
âWillst du mich heiraten, Eddie?â
Eddie lächelte. âFalsche Frage. Richtig müsste es heiÃen: Wer auÃer dir wäre verrückt genug, mich heiraten zu wollen?â
âEddie?â
Er war schon im Begriff, ein bisschen weiterzuwitzeln, aber etwas in ihrem Ton lieà ihn in sich gehen.
âJa, ja und noch mal ja ⦠wenn du mich noch haben willst, trotz allem, was ich getan habe.â
âIch habe mich erkundigt. Die schnellste Art zu heiraten ist, aufs Standesamt zu gehen.â
Eddie war verwirrt. âWarum sollten wir standesamtlich heiraten? Wir werden in der Kirche heiraten, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen ist.â
âDer einzige richtige Zeitpunkt ist jetzt. In zwei Monaten verfrachten mich meine Eltern nach London. Sobald wir heimlich geheiratet haben, können sie das nicht mehr.â
âSie schlagen doch schon Gott weià wie lange blinden Alarm. Wie oft hast du mir das schon erzählt?â
âJa, hab ich. Aber diesmal ist es ernst. Sie haben schon mein Ticket gekauft und mit einer älteren Dame vereinbart, dass ich bei ihr wohnen werde, in Balham.â
âWo ist das?â
âIn Südlondon.â
âDas ist schon okay. Noch ein Jahr, und ich bin fertiger Kfz-Mechaniker und verdiene ordentliches Geld. Ich werde nebenher noch schwarz arbeiten, und in spätestens fünfzehn Monaten habe ich eine kleine Wohnung gemietet. Dann kommst du zurück, und wir heiraten. Versprochen. Ist doch toll, ich werde eine London-Heimkehrerin als
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