Die Statisten - Roman
besiegelte Ravans neue Inkarnation mit einem Geschenk. âNimm diese Bibel. Studiere sie Wort für Wort, koste sie aus, erfasse ihre Bedeutung und lebe gemäà ihren Lehren â insbesondere denen im Neuen Testament. Komm jeden Montag und Donnerstag nachmittags um sechs Uhr in die Kirche, und ich werde dich persönlich auf den Weg zu Gott führen!â
Es ist fraglich, ob Pater Agnello begriff, welch elektrisierende Wirkung er auf Ravan hatte. Er hatte sich für Ravan bei Jesus verwendet, und der junge Hindu würde auf der Stelle anfangen, den Rest der Menschheit zu erretten. Von nun an würde sich der Jünger in allem nach dem Vorbild des Geistlichen richten. In den nächsten Wochen befolgte Ravan den Rat des Priesters. Er verschlang die Bibel förmlich, in groÃen Stücken. Er las sie immer und immer wieder, bis er ganze Abschnitte auswendig wusste. Sobald das Taxifahren ihm ein paar Minuten Zeit lieÃ, zückte er das heilige Buch und versenkte sich darin. Seine Englischkenntnisse verbesserten sich dadurch rasant. Er konnte bald zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit aus der Bibel zitieren, und tat es auch. Jedes Mal, wenn er in dem einen oder anderen Evangelium die Passionsgeschichte erreichte, füllten sich seine Augen mit Tränen, und seine Stimme brach. Ach, welch ein tragisches Schicksal hatte dieser Sohn Gottes um der Menschheit willen doch erduldet! Die Hochachtung allerdings, die er Pater Agnello entgegenbrachte, stellte ihn nun vor eine weitere, nur logische Entscheidung. Sollte er sich beim gröÃten Kostümverleih der Hindi-Filmbranche, Maganlal Dresswala, einen Priesterrock mieten, oder sich doch lieber einen maÃschneidern lassen? Denn schlieÃlich würde er ihn nicht für einen eintägigen oder einmonatigen Dreh irgendeines dämlichen Hindi-Films brauchen, sondern ein Leben lang.
âIch habe eine gute Nachricht für Sie.â Ravan drehte sich auf seinem Sitz um und sprach mit gütiger Stimme den ersten Fahrgast des Tages an, der ihm gerade erklärt hatte, er wolle zum Ballard Estate. âJesus kann Sie erretten!â
âErrette deinen eigenen Arsch, mein Freund. Mach dir um mich keinen Kopf.â
âEhe man Gott um Vergebung bitten kann, muss man selbst vergeben.â
âEs gibt nichts zu vergeben, du Schwachkopf! Ich kenn dich nicht mal!â
Ravan blickte ihn mit unendlichem Erbarmen an. âUnd dennoch vergebe ich Ihnen, mein Sohn.â
âHalt deine Fresse! Ich hab einen Riesenkater von der Sauftour letzte Nacht und ich kann keinen blöden Wichser brauchen, der mir gleich am frühen Morgen eine Moralpredigt hält!â
âWas könnte es für einen besseren Zeitpunkt geben, um ein hassenswertes Laster aufzugeben, als genau den Augenblick, in dem es zu einer unerträglichen Heimsuchung wird? Wende dich Jesus zu, mein Freund, und er wird dich in deiner dunkelsten Stunde begleiten!â
âAnhalten! Sofort anhalten!â Der Fahrgast sah sich Ravan zuerst flüchtig, dann noch einmal genauer an. âWas tut ein ScheiÃpriester am Steuer eines Taxis? Ich sollte dich anzeigen!â
Den Rest des Tages erging es Ravan nicht viel besser. Mehrere potenzielle Fahrgäste weigerten sich einzusteigen, sobald sie sahen, dass der Taxifahrer eine Soutane trug. Die wenigen, die es doch taten, schauten gelangweilt aus dem Fenster und gähnten, sobald er darüber zu salbadern begann, welche Wunder Jesus in ihrem Leben zu wirken imstande sei. Es war, gelinde gesagt, entmutigend. Er versuchte, die unsterblichen Seelen seiner Fahrgäste zu retten, und die Undankbaren waren einfach nicht interessiert! Aber er würde keinesfalls aufgeben; oh nein, ganz gewiss nicht! Pater DâSouza hatte doch gesagt, was geschehen würde, wenn Jesus die Menschheit aufgäbe! Trotzdem würde er während der Schicht keine Soutane mehr tragen, da sie die Leute davon abzuschrecken schien, in sein Taxi einzusteigen.
Als Eddie am Abend Ravan sah, starrte er ihn verdutzt an.
âBist du das, Ravan?â Er stand vor ihm und war sichtlich abgeneigt, seinen Augen zu trauen. âWas machst du in einer Soutane? Probst du eine Nummer mit tanzenden katholischen Priestern oder was?â
âNein. Das ist nicht für einen Dreh.â
âWas dann? Du hast keine Ahnung, wie sehr du dem Priester ähnelst, den ich seit meiner Kindheit kenne!â Eddie lachte. âDer arme Mann, ich
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