Die Statisten - Roman
bin all die Jahre das Kreuz gewesen, das er zu tragen hatte! Obwohl ich sagen muss, dass er dafür mein Kreuz gewesen ist. Ich meine den Priester von St. Sebastianâs, Pater Agnello DâSouza. Aber natürlich, du kennst ihn ja vom Sehen.
Er war an dem Tag mit meiner Mutter im Krankenhaus.â
âIch bin stolz, ihm zu ähneln!â, sagte Ravan trotzig.
âDu kennst ihn?â
âJa. Er hat mir den Weg zu Jesus gewiesen und hat mich errettet. Ich nehme Katechismusunterricht bei ihm.â
âWieso trägst du eine Soutane? Hat Pater Agnello dir nicht gesagt, dass nur Priester das dürfen?â
âStimmt nicht! Laienbrüder tragen ebenfalls den Rock!â, sagte Ravan selbstgefällig.
âSchon, aber du bist noch nicht mal Katholik.â
Das nahm Ravan kurz den Wind aus den Segeln. âIch bin katholisch im Geiste, das ist mehr, als du von dir behaupten kannst.â
Die Auseinandersetzung endete mit einem Patt. Es war der erste Krach, den sie bislang gehabt hatten, und er hinterlieà bei beiden ein unbehagliches und unsicheres Gefühl. Ravan hatte gedacht, sein Entschluss, zum Katholizismus zu konvertieren, würde ihn Eddie näherbringen; stattdessen schien die Folge zu sein, dass sein neuer Freund ihn mit Argwohn betrachtete. Sie gingen zwar weiter zusammen in die Studios, aber sie sprachen kaum mehr miteinander. Ravan war sich bewusst, dass in ihrer noch jungen Freundschaft ein unsichtbarer, aber spürbarer Riss entstanden war. Ihm wäre etwas Drastischeres lieber gewesen, ein offener und sichtbarer Konflikt: Dazu hätte er Stellung beziehen können, man hätte reden, zu einem für beide Seiten annehmbaren Kompromiss gelangen und nach und nach die Sache so flicken können, dass die Beziehung dadurch stabiler und belastbarer geworden wäre. Aber so wie die Dinge nun zwischen ihnen lagen, würde eine falsch verstandene harmlose Bemerkung, der geringste Druck an der falschen Stelle ausreichen, um den Haarriss zu einer tiefen Kluft werden zu lassen, und er würde wieder freundlos und allein sein.
Als Ravan beschloss, jeden Sonntag zur Messe zu gehen, hatte er geglaubt, die katholische Gemeinde würde ihn mit offenen Armen willkommen heiÃen, ihn vielleicht in einer Prozession durch Mazagaon führen, um zu feiern, dass Jesus Sein Licht auf ihn geworfen und eine weitere Seele errettet hatte. Stattdessen merkte er, dass sie sich in seiner Gegenwart unbehaglich fühlten. Sie waren nicht direkt feindselig, aber distanziert. Er war offensichtlich nach wie vor der Paria und AuÃenseiter. Es machte den Eindruck, als nähmen sie es ihm übel, wenn er in ihr Revier eindrang.
Seltsamerweise verhielt sich auch Pieta irgendwie anders. Er hatte das Gefühl, dass sie ihn mied. Er konnte sich zwar nicht erinnern, wann sie zuletzt ein Wort miteinander gewechselt hatten, aber wenigstens hatte sie ihm in die Augen geschaut, wenn sie zufällig im Treppenhaus aneinander vorbeigingen oder sich auf der StraÃe über den Weg liefen. Jetzt wandte sie ihren Blick ab â wie schuldbewusst, oder schlimmer noch, als könnte sie seinen Anblick nicht ertragen. Als er ihr zum ersten Mal in seinem Priesterrock begegnete, hatte sie ihn ungläubig angestarrt, als habe sie eine Erscheinung. Sie stand sichtlich kurz davor, etwas zu sagen, entschied sich aber im letzten Moment anders. Er konnte nicht sagen, warum, aber er war sich fast sicher, dass es etwas sehr Missbilligendes und Ablehnendes gewesen wäre.
Seine eigenen Leute behandelten ihn wie einen Verräter. Die Mitglieder der Sabha und des Sangh drohten, es werde âKonsequenzenâ haben, falls er sich nicht besinne. Ãber die spezifische Natur dieser Auswirkungen lieÃen sie sich nicht weiter aus. Eine Abordnung beider Organisationen suchte Parvati-bai auf und empfahl ihr nachdrücklich, ihren Sohn zur Ordnung zu rufen, da sie andernfalls âspontane Aktionenâ ihrer Mitglieder nicht würden ausschlieÃen können.
Glücksbringer,
mögest du im Schatten Allahs wandeln.
Ich habe mich oft gefragt, was aus mir geworden wäre, wenn mein Vater mich nicht eines Tages bewusstlos geprügelt hätte und ich nicht ausgerissen wäre. Es wird dir schwerfallen, das zu glauben, aber noch heute wäre ich am liebsten entweder ein Mullah oder ein Dichter.
Der Koran ist von jeher mein Lehrer und Führer gewesen. Ich kann mich nicht erinnern, wie oft ich das
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